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ALLES UNTER KONTROLLE?

 
       
  Meine ersten Erfahrungen machte ich in der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung der 60er Jahre, mittlerweile ist der Fall dokumentiert. Das FBI hatte ein ColntelPro (Counter-Intelligence-Program) gestartet, dessen Ziel es war, die Friedensgruppen nicht nur zu unterwandern, sondern sie dies auch wissen zu lassen. Das sollte dazu führen, dass sich die Leute gegenseitig verdächtigen, weil jeder jeden für einen Regierungsagenten hält. Das alles ist festgehalten in einem Regierungs-Memo über die Untersuchungen dieser Sache in den 70er Jahren. Und tatsächlich machte die einsetzende Paranoia es damals auch ziemlich unmöglich, dass wir in der Friedensbewegung weiter konstruktiv zusammenarbeiten konnten. Mit dieser Methode ging die Regierung auch gegen die Black Panthers und andere radikale Gruppen vor und gegen Ende der 60er hatte ich mich dann mehr oder weniger an den Gedanken gewöhnt, dass nahezu jeder, mit dem ich einmal politisch zusammengearbeitet hatte, ein Regierungsagent war. Anstatt nun paranoid zu werden, fand ich das eher ziemlich komisch. John Adams, einer meiner Lieblinge unter den politischen Philosophen, meinte einmal: »Bei wirklich tiefer Betrachtung der menschlichen Geschichte bleibt nur Weinen oder Lachen und ich lache lieber.« So halte ich es auch. Die Geschichte der Menschheit ist so fürchterlich, wer das ernst nimmt, muß verrückt werden deshalb versuche ich, beim Lachen zu bleiben.


Hat allein das Streuen des Gerüchts über die Verschwörung gegen die Friedensgruppen damals ausgereicht, ihre Aktivitäten zu lähmen? Der wichtigste Beitrag daneben war wohl die Tatsache, dass die Regierung die großen Schallplattenfirmen überredete, nicht mehr in den Medien der Gegenkultur zu inserieren. Diese Plattenanzeigen waren die Haupteinnahmequellen der alternativen Presse, und als diese ausblieben, gingen die meisten Zeitungen ein und wir waren wieder auf den einen monolithischen Informationskanal der herrschenden Kreise angewiesen, der uns glauben machen wollte, dass alles mit rechten Dingen zuging. Doch heute gibt es das Internet, und die Informationskanäle sind wieder offen. Jede Art von Verschwörung, ob von Menschen, Tieren oder Bergen, hat eine gewisse Lebenszeit, keine währt ewig, und das ist es, was die meisten Verschwörungs-Spinner vergessen. Sie denken, dass Verschwörungen lange, ewig dauern; ich denke dagegen, sie sind in der Regel nur von kurzer Dauer. Die bestdokumentierte Verschwörung, die wir kennen, die der P2-Loge in Italien, war zum Beispiel nur zehn Jahre lang erfolgreich, Mitte der 80er Jahre waren ihre Führer entweder tot oder im Gefängnis oder untergetaucht. Dennoch können diejenigen, die behaupten, P2 sei bis heute aktiv, recht haben nur hat diese Verschwörung dann längst nicht mehr den Einfluß, den sie in den 70er Jahren hatte. Ich denke, es gibt keine Verschwörungen, die sich über Hunderte oder gar Tausende von Jahren erstrecken, abgesehen davon, dass sie einen guten Stoff für melodramatische Romane abgeben, von denen ich einige geschrieben habe. Als Sie vor 25 Jahren für den Roman »Illuminatus« recherchierten und in die Geschichte der wichtigsten aller Verschwörungen eintauchten ... ... du kommst niemals damit zu Ende. Eine Zeitlang dachte ich wirklich, ich hätte alle wichtigen Verschwörungen beisammen, aber dann beschwerte sich jemand, dass die Bilderberger ja gar nicht vorkommen. Von denen hatte ich damals noch nicht allzuviel gehört. Doch bei diesem neuen Buch jetzt wird es mir nicht anders ergehen denn es gibt Tausende und Abertausende. Der menschliche Geist ist einfallsreich und kreativ, besonders wenn er sich Sorgen macht... Sehen Sie in Sachen Konspiration eine Veränderung zwischen der Lage vor einem Vierteljahrhundert und heute? Ich denke, mittlerweile sind Verschwörungstheorien durchaus ein Thema des Mainstreams, zumindest in den USA. Als Robert Shea und ich damals »Illuminatus« schrieben, war das noch eine eher entlegene, schräge Sache. Mittlerweile wir müssen uns nur den Erfolg von »Akte X« und ähnlichen Filmen ansehen scheint jeder an Verschwörungen zu glauben und weil die meisten nicht gerade in kritischem Denken geschult sind, sind die verrücktesten Theorien die populärsten. Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert war es der Antichrist, im Mittelalter war es Satan, heute sind es Außerirdische oder die Trenchcoat-Mafia zieht sich durch die Verschwörungen, denen durch die gesamte Geschichte der Menschheit das Böse zugeschrieben wird, ein gemeinsamer Faden, haben sie dieselbe Struktur? Natürlich erfahren auch Verschwörungen ihre Updates, Mythen werden modernisiert aber die Grundthemen bleiben dieselben. Gerade habe ich zum Beispiel ein Buch über »Abductions« gelesen, über Leute, die glauben, von Außerirdischen entführt und sexuell belästigt worden zu sein und diese Berichte haben genau dieselbe Struktur, wie wir sie in der mittelalterlichen Literatur finden, in den Geschichten von Incubi und Succubi, zwei Dämonen, die Männer und Frauen belästigten. Ich weiß nicht mehr, wer für wen zuständig war aber diese mittelalterlichen Dämonen sind nichts anderes als unsere heutigen E.T.s, sie behandeln ihre Opfer genauso, und auch ihr sexueller Appetit scheint ähnlich gelagert. Und die meisten Botschaften, die wir von den Entführungsopfern und Kontaktpersonen erhalten, entsprechen dem apokalyptischen Standard, den wir aus religiösen, hysterischen Endzeitprophezeiungen kennen: Die Welt wird untergehen! Bekanntlich ist ja keines der EndzeitSzenarien jemals eingetreten, die Trefferquote der Vorhersagen liegt bei 0,00 Prozent, aber niemand gibt die Hoffnung auf, alle diese Leute hoffen, dass ihr Endzeit-Szenario doch noch eintrifft. Vor ein paar Tagen bekam ich eine E-Mail mit über hundert biblischen Prophezeiungen, die alle darauf hinauslaufen, dass die Welt am 11. September 1999, also in zwei Tagen, untergeht.


In Deutschland war der u. August 1999, der Tag der totalen Sonnenfinsternis, für einige ein apokalyptisches Datum. Einige Interpreten lasen aus Nostradamus diesen Termin als Datum für einen plötzlichen Überfall der russischen Armee auf Westeuropa ...


Als ich in den 80ern in Los Angeles lebte, sollte laut Nostradamus die Stadt an einem bestimmten Datum im Meer versinken. Das glaubten tatsächlich so viele, dass es richtige Verkehrsstaus in Richtung Berge und Wüste gab. Als ich einkaufen ging, sah ich in der Tageszeitung die Headline: »If you read this, Nostradamus again was wrong« doch dass die Welt nicht unterging, hält nie-manden davon ab, darauf zu hoffen. Übrigens: Was heißt eigentlich »Weltuntergang«. Wenn dieser Planet zu seinem Ende kommt und unsere verrückten Regierungen und einige Wissenschaftler scheinen hart daran zu arbeiten, das bald hinzukriegen -, dann heißt das nicht, dass die Welt untergeht. Wir sind ziemlich isoliert im Universum, irgendwo an den äußeren Docks einer zweitrangigen Galaxie und es gibt, wie Carl Sagan zu sagen pflegte, Millionen und Millionen solcher Galaxien da draußen. Das Universum läuft weiter, auch wenn wir auf unserem kleinen Planeten hier abgefuckt haben ... wie übersetzt man »fuck up« ins Deutsche?


Eigentlich überhaupt nicht. »Fuck« und »abgefuckt« sind mittlerweile ins Deutsche gewandert, so wie »Kindergarten« oder »Rucksack«, ins Amerikanische. Das bringt mich übrigens gleich zu der Frage nach einem der interessantesten Stichworte in Ihrem Buch, dem Thema »Sprache als Verschwörung«.


Einer der Defekte der indoeuropäischen Grammatiksysteme ist ihre Neigung zu Generalisierungen. Wir sagen »die Blätter« und verwischen damit automatisch die Differenz, die Tatsache, dass es große Unterschiede zwischen einzelnen Blättern, zwischen »Blatt 1«, »Blatt 2« und »Blatt 3« gibt. Jedes ist anders, aber die Struktur unserer Sprache zwingt sie unter einen Oberbegriff., Deshalb behauptet man, wenn man von »den Protestanten« spricht, dass sie alle gleich sind als sei man ein dogmatischer Katholik. Wir alle kennen die Auswüchse eines Antisemitismus und Rassismus, der nur noch »die Juden« oder »die Schwarzen« kennt. Hätten wir eine andere Sprachstruktur, könnten wir auf diese Weise gar nicht denken wir hätten dann keinen Begriff für »die Blätter«, sondern müßten von dem individuellen »Blatt 1«, »Blatt 2«, »Blatt 3« sprechen. Einige Sprachen der amerikanischen Indianer kommen dem nahe, sie benutzen weniger Generalisierungen und mehr Spezifizierungen. Und auch eine andere Zeitstruktur. Deshalb läßt sich auch die Einsteinsche Relativität, wie Benjamin Lee Whorf einmal ausgeführt hat, leichter in der Sprache der Hopi diskutieren als in irgendeiner europäischen Sprache. Die Verallgemeinerungen unserer Grammatik werden der wahren Natur der Dinge nicht gerecht. Es gibt ein interessantes Buch, »Biochemical Individuality«, in dem auf einer Seite zum Beispiel fünf menschliche Mägen, die Verstorbenen entnom-men wurden, abgebildet sind und auf der anderen Seite »der menschliche Magen« aus einem medizinischen Lehrbuch und keiner der echten Mägen sieht »dem Magen« auch nur im entferntesten ähnlich. »Der Magen« ist eine Abstraktion. Ich vertrete seit langer Zeit die Sichtweise des »Committee of the Surrealist Investigation of Claims the Normal« (Komitee zur surrealen Untersuchung von Behauptungen des Normalen), das von meinem Freund Professor Timothy Finnegan in Irland gegründet wurde und davon ausgeht, dass es so etwas wie das Normale nicht gibt. Es wurden sogar 100.000 irische Pfund Preisgeld für den Beweis ausgesetzt, dass es einen normalen Sonnenuntergang, einen üblichen Tag, ein durchschnittliches menschliches Wesen, ein normales Playmate des Monats oder eine typische BeethovenSonate tatsächlich gibt. Nichts davon existiert, es gibt nur individuelle Fälle. Das Normale ist das, was niemand wirklich ist eine Fiktion, die von unserer Sprachstruktur geschaffen wird.


Könnte man dann die Tatsache, dass das Verschwörungsdenken in den letzten Jahrzehnten mehr in den Mainstream gerückt ist, so interpretieren, dass die Bevölkerung auf eine globalisierende, immer komplexer werdende Welt, die immer schwerer zu begreifen ist, mit immer gröberen Abstraktionen und Verallgemeinerungen reagiert?


Das ist ja überhaupt einer der Grundzüge des Verschwörungsdenkens: dass die Leute nach Erklärungen für Dinge suchen, die sie nicht verstehen. »John hat mich geschlagen«, »Hans war auf dem Schulhof böse zu mir« ... das ist die Art von eindeutigen Erklärungen, die Kinder verstehen. Und viele Erwachsene behalten diesen kindischen Geist und damit auch den Hang, immer nach möglichst simplen Erklärungen zu suchen, jemandem, den sie für irgendein Übel verantwortlich machen können. Und das macht Verschwörungstheorien für diese Geister so attraktiv. Um eine etwas objektivere Erklärung dafür zu finden, warum die Dinge nicht so richtig laufen, braucht man vielleicht ein gewisses technisches, politisches, sozialwissenschaftliches Verständnis, aber über das verfügen die Leute normalerweise nicht sie suchen einen Schuldigen. In dem Film » The Rising Sun« spielt Sean Connery einen amerikanischen Agenten, der durch seinen langen Aufenthalt in Japan schon so denkt wie die Japaner und zu einem Kollegen sagt: »Wenn ein Problem auftaucht, suchen wir in Amerika immer sofort nach einem Schuldigen, in Japan sucht man sofort nach der Lösung und hat das Problem schon lange gelöst, während wir noch die Schuld von einer Abteilung zur anderen schieben.« Verglichen damit ist die Methode, die die jüdischen Stämme vor einigen tausend Jahren erfanden, ziemlich unbürokratisch: Einmal im Jahr wurden in einer Zeremonie alle Sünden auf einen Sündenbock übertragen und dieser dann in die Wüste geschickt... Sir James Frazer hat in »The Golden Bow« gezeigt, dass ähnliche Sündenbock-Methoden bei vielen Stämmen in der ganzen Welt Anwendung fanden ... Ich erinnere mich an einen Stammeskult mexikanischer Indianer, die einmal im Jahr einen Bären fingen, der dann eingesperrt wurde, und jeder mußte zu dem Bären gehen und ihm seine Sünden gestehen. Wenn der Bär dann alle Missetaten gehört hatte, wurde er getötet abgesehen von diesem Schluß hat die katholische Kirche das später als Sakrament der Beichte eingeführt. Wo wir gerade bei den Sünden sind, muß man sich ja fragen, ob Verschwörung wirklich eine Sünde, ein Verbrechen ist oder nicht viel eher so hat es unlängst ein Staatsanwalt bei einer Bewußtseinskonferenz ausgedrückt »die normale Fortsetzung völlig normaler Geschäftsund Wirtschaftspraktiken mit ganz normalen Absichten«. Jeder im Business verschwört sich gegen die Konkurrenz, jeder versucht mehr zu wissen als die Konkurrenz, was zur üblichen Industriespionage führt, und jeder versucht die rivalisierenden Firmen in die Irre zu führen und zu täuschen. Das gilt noch verstärkt für die internationalen Beziehungen und die konkurrierenden Geheimdienste, die sich darin überbieten, Desinformation zu produzieren, Lügen, die fast wie die Wahrheit aussehen und vielleicht einiges von ihr enthalten, aber eben doch Lügen sind, um andere zu täuschen. Deshalb bleibt denen, die bei den Geheimdiensten beschäftigt sind, letztlich nichts anderes übrig, als paranoid zu werden und im Business sieht es kaum anders aus. Gerade hat sich das Europäische Parlament darüber beschwert, dass der amerikanische Geheimdienst NSA europäische Unternehmen ausspioniert.


So etwas geschieht dauernd Lügen und Spionieren ist tägliches Geschäft in Wirtschaft und Politik, insofern ist das Verschwö-rerische dem Kapitalismus eingeboren. Nicht dass er von der Spitze, von einer supergeheimen Gruppe regiert würde, wie einige Verschwörungstheorien glauben, sondern im Prinzip verhält sich jedes einzelne Individuum als Verschwörer, wie beim Poker. Was an vielen Verschwörungstheorien auffällt, ist, dass sie nicht nur einen Schuldigen für ein Problem, sondern gleich für sämtliche Weltübel präsentieren ... Der Feind ist immer eine Reflexion des inneren Schattens, der unterdrückten Teile des Selbst und er wird allgemein beschrieben als sexuell besessen und abseitig und mit allen Tabus behaftet, die die Gesellschaft aufgestellt hat. Außerdem ist er diabolisch clever weil sich die meisten Leute gern für diabolisch clever halten, obwohl sie es wahrlich nicht sind. Auch die meisten Verschwörer in der wirklichen Welt sind meiner Meinung nach eher ziemlich dumme Leute, so wie ja auch die meisten Kriminellen ziemlich dumm sind, aber sie müssen auch nicht sonderlich schlau sein, weil ja auch die Polizisten ziemlich dumm sind. O.K. anderseits leben wir zur Zeit in einer idealen Atmosphäre, die das Wachstum von Verschwörungen begünstigt. Der Fluß an zugänglichen Informationen hat sich in den letzten Jahrzehnten auf exponentielle Weise beschleunigt und wächst täglich auf unglaubliche Weise. Das hat eine Beschleunigung der Technologie, der ökonomischen Systeme usw. nach sich gezogen, die für viele Individuen die Lage unüberschaubar und unsicher macht. Sie können das alles nicht mehr verstehen, fürchten um ihre Jobs oder sitzen auf der Straße. Nicht von ungefähr kam Hitler, der Berüchtigtste aller Verschwörungstheoretiker, mit seiner Theorie von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung zu einer Zeit durch, als die meisten Menschen in Deutschland arbeitslos waren und die Weltwirtschaft mitten in einer schweren Depression steckte. Ich glaube, dass wir auch zur Zeit in einer Depression stecken, auch wenn uns die Medien in den Vereinigten Staaten weiter erzählen, dass wir in einer »nie da gewesenen Periode des Wohlstands leben« wessen nie da gewesener Wohlstand, frage ich mich da, denn wenn ich mich umschaue, fühlen sich die Leute anders: suchen verzweifelt einen Job oder haben Angst, ihn zu verlieren. Für höchstens fünf Prozent der Bevölkerung ist eine Periode nie dagewesenen Wohlstands eingetreten aber der ganze Rest ist angeschmiert. Dann ist also tatsächlich bald alles unter Kontrolle, und die Welt wird tatsächlich von einer Handvoll Finanzmagnaten regiert? Einerseits haben die traditionellen Machtgruppen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren mehr Geld gemacht als jemals zuvor, und sie werden reicher und reicher und reicher auf diesem Level sind sie erfolgreicher denn je. Aber auf einem sehr grundsätzlichen Level, glaube ich, verlieren sie gleichzeitig die Kontrolle, denn die Welt ist so kompliziert geworden, dass eine kleine Gruppe gar nicht genug davon verstehen kann, um sie zu kontrollieren. Das wird deutlich, wenn du dir Politiker anschaust: Gerade erschienen zum Beispiel verschiedene Editorials in einigen Computermagazinen über die neuesten Gesetze, die von Politikern in Sachen Computer erlassen wurden: Sie entsprechen der technischen Situation, wie sie vor 15 Jahren herrschte. Politiker sind damit beschäftigt, ihre Popularität aufrechtzuerhalten und Wahlen zu gewinnen, sie verstehen nichts von den Gesetzen, die sie da erlassen, und haben keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Sie verlieren den Kontakt mit der Realität. Und auch die Megakonzerne und Banken, denen die Politiker ja gehören, verlieren den Kontakt, weil das Internet etwas völlig Neuartiges in der Geschichte ist. Ich glaube, es ist die revolutionärste Entwicklung, der dramatischste Schritt, seit das Leben einstmals vom Wasser auf das Land gewandert ist. Internet bedeutet die Abwesenheit von Kontrolle über das ganze System als einzige Möglichkeit, das System aufrechtzuerhalten. Keine kleine Truppe von Verschwörern kann jemals das Netz kontrollieren. Der einzige Weg, das Netz als Ganzes aufrechtzuerhalten, ist die Dezentralisierung der Kontrolle. Es läßt sich nie 100prozentig verhindern, dass sich jemand die Mühe macht, die Webseite der CIA in »Central Stupidity Agency« umzuwandeln nur um zu zeigen, dass traditionelle Kontrolle, wie sie die CIA betreibt, nicht mehr funktioniert. Ich denke, das Internet zwingt zur Dezentralisierung, und deshalb sehe ich die Welt im 21. Jahrhundert eher auf ein anarchistisches als auf ein faschistisches System zusteuern. Ich meine damit nicht ein total anarchistisches Chaos, aber es geht eher in diese Richtung als zu einem Faschismus der Kontrolle und der strikten Hierarchien. Die Leute überall auf der Welt lassen sich Computer und Internet ebensowenig verbieten wie Satellitenschüsseln und Kühlschränke. Es läßt sich nicht verhindern, dass dann, wie es unlängst in der Zeitung stand, auch in ganz Saudi-Arabien die »Satanischen Verse« von Salman Rushdie über das Internet verfügbar werden. Verschaffen die unglaublichen Informationsfluten, die das Internet bereitstellt, dem Individuum wirklich mehr Macht, oder erschlagen sie es nicht eher? Ein wirrer Berg von Information ist so schlecht wie gar keine Information ... Ganz allgemein ist Macht eine Funktion von Kommunikation: Je größer die Kommunikationsfreiheit, desto größere Macht kommt dem Individuum zu. Und die Leute beginnen das Internet zunehmend in diesem Sinn zu benutzen zum Beispiel indem sie Geschäfte in ihrer eigenen Währung machen, die nur in ihrer Internet-Community Geltung hat. Regierungen und Banken versuchen das natürlich zu verbieten und sind hochgradig alarmiert über diese alternativen Währungen, aber sie können sie letztlich nicht unterbinden. Bei uns, und ich denke auch in Deutschland, wird Geld von der Bundesbank ausgegeben, die Zinsen für jeden Dollar kassiert, den sie ausgibt. Und sie fürchtet natürlich den Wettbewerb einer alternativen, elektronischen Währung im Internet, doch die wird sich nicht verhindern lassen. Auch die Finanzämter sind schwerst beunruhigt, denn sie können verschlüsselte Transaktionen nicht besteuern ... Ich sehe viele Regierungsorganisationen und Kontrollbehörden in Zukunft kollabieren, wegen ihrer Unfähigkeit, mit der Internet-Revolution umzugehen. Und das ist der Grund, warum ich eigentlich sehr optimistisch bin. Die weltweite Vernetzung läßt nicht länger zu, dass Kontrolle an einem Punkt zentralisiert wird, sie wird mehr und mehr dezentralisiert, letztlich bis hinunter zu jedem einzelnen. Einige Einträge in Ihrem Buch sind der »Verschwörung des Geldes« gewidmet. Glauben Sie, dass diese Macht jetzt im Prinzip gebrochen werden kann, indem wir uns, wenn wir zum Beispiel über das Internet Geschäfte machen, auf die Währungseinheit »Wilson« einigen und dafür Produkte oder Dienstleistungen austauschen? Wenn wir keine Banken mehr brauchen, um Geld auszugeben und in Verkehr zu bringen, wären auch die Konzepte eines zinslosen Geldes, wie sie der Ökonom und kurzzeitige Wirtschaftsminister der Münchner Räterepublik Silvio Gesell vor 80 Jahren entwickelt hat, mit einem Schlag wieder hochaktuell. Sie sind ungefähr die fünfte Person in meinem Leben, die den Namen Gesell überhaupt kennt. Seine Konzepte waren brillant, doch sie werden heute durch die Möglichkeiten des Internet noch überholt. Geld ist reine Information im mathematischen Sinne, was heute kaum jemand realisiert. Das ist eigentlich komisch, denn wir haben ja schon vor langer Zeit die Goldund Münzwährung in wertlose Papierfetzen eingetauscht. Ihren Wert haben sie nur durch den Aufdruck und solange die Bank, die ihn abgestempelt hat, nicht zusammenbricht. Geld ist schon mehr und mehr abstrakt geworden und immer mehr Leuten wird es in Zukunft hochgradig lächerlich vorkommen, ständig weiter Zinsen dafür zu zahlen, dass Geld in die Zirkulation gebracht wird. Sie können ihr eigenes Geld zirkulieren lassen, und sie können sich über das Internet zunehmend selbst repräsentieren. Unsere jetzigen Repräsentanten, die Politiker, gibt es doch eigentlich nur, weil nicht jeder dauernd seine Farm oder Arbeitsstelle verlassen konnte, um in der Hauptstadt über die Gesetze zu diskutieren und abzustimmen. Deshalb gibt es diese Repräsentanten, die aber, wie gesagt, meistenteils damit beschäftigt sind, Spenden für ihre Wiederwahl zu sammeln. Das Internet macht diese Art von Repräsentation überflüssig. Ebenso wie die Banken überflüssig werden, wenn wir unser eigenes Geld schaffen. Ich glaube, das ist eine der brisantesten Ideen der Welt, und ich bin froh, hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen zu können.Gesells Theorien, die sich ja auch schon in der Praxis bewährt hatten, wurden in den 40er Jahren in den Vereinigten Staaten aufgegrifen, als der Ökonom Irving Fisher »Stamp -Money« mit einem negativen Zins empfahl... Er kam damals immerhin schon bis zu einem Senats-Komitee mit dieser Sache, aber weiter nicht. Durch das Internet erhalten diese alten Ideen jetzt eine neue, noch brisantere Dimension. Es ist ja sehr interessant, sich mal anzuschauen, wie die Banken überhaupt zu ihrem Monopol im Währungsund Geldgeschäft gekommen sind. Den meisten Verschwörungstheorien zufolge strebten die Banken planvoll nach der Weltherrschaft, wahrscheinlich war es aber eher so, dass sich die einzelnen Regierungen so an das ständige Gelddrucken gewöhnt hatten, dass sie einander bei ihren Währungen aufs tiefste mißtrauten und deshalb die Banken dazwischenschalteten. So kamen sie zu ihrem Monopol. Mit dem Internet wird das jetzt im Prinzip hinfällig, und deshalb versuchen sie, das mit Gesetzen unter Kontrolle zu bekommen, aber das wird nicht funktionieren. So wie das nicht funktioniert, was »meine« kalifornische Repräsentantin, Diane Feinstein, unlängst als Gesetz vorgeschlagen wollte: dass man die Drogeninformation im Internet zensieren soll. Jede Barriere, die du aufrichtest, wird vom Web drei Tage später umschifft, und deshalb haben Regierungen, Banken und alle Machtgruppen so eine Angst vor dem Internet. Wer erfahren will, wie man Amphetamine herstellt, und das Rezept nicht von dem Internet-Server in San José bekommt, holt es sich eben in Kanada, Oslo oder Frankfurt. Die einzige Möglichkeit, den freien Fluß von Informationen im Netz zu verhindern, wäre eine Weltregierung, und die Leute, die das Internet gern kontrollieren möchten, hegen auch große Bedenken gegen eine solche Weltregierung. Deshalb glaube ich nicht, dass die Macht sich zukünftig hin zu einer Weltregierung von einigen wenigen entwickelt, ich denke, sie wird eher ins Internet devolvieren. Was das Thema Verschwörungen betrift, scheint es im Internet augenblicklich so zuzugehen, dass man zu den verrücktesten Sachen die meisten Files findet -je schriller der Fall einer UFO-Entführung oder der Menschenzüchtung in Area 51 oder was auch immer ist, desto mehr Interesse zieht er an. Die Fakten interessieren dann bald keinen mehr, aber es entsteht eine neue Folklore, Ufolklore, es werden Mythen gestrickt. Ja, nehmen Sie doch nur den Roswell-Fall, den angeblichen UFO-Crash bei Roswell 1947. Das ist jetzt 52 Jahre her, und es gibt immer weniger Beweise, aber immer mehr verdammte Bücher über den Fall als je zuvor. Statt um wirklich harte Fakten geht es da nur um Gerüchte, Hörensagen und um den Onkel, der etwas gesehen hat, das aber nicht mehr bestätigen kann, weil er schon tot ist. Ähnlich ist es mit den Geschichten von Area 51. Richtig ist, dass es sich um ein militärisches Sperrgebiet handelt, das in einem Umkreis von 50 Meilen abgesperrt ist und dass die Regierung dort einiges treibt. Ich glaube aber nicht, dass sie da außerirdische Alliierte haben und hybride Menschen basteln. Aber was immer sie da Geheimes tun, und sei es nur, dass sie neue Flugzeuge testen, ist eine solche Story natürlich eine prima Tarnung. Es sind nicht immer nur Verrückte, die diese Geschichten ausspinnen viele ehemalige Geheimdienstoder Regierungsangestellte reisen durchs Land und enthüllen abenteuerliche Geheimnisse über die Aktivitäten der Regierung. Das schafft ein Klima der Paranoia, und ich habe lange gerätselt, welches Interesse die Regierung daran haben kann, doch das lenkt in jedem Fall sehr gut davon ab, was wirklich verborgen bleiben soll. Zum Beispiel, dass das US-Energieministerium die Bürger radioaktiver Strahlung ausgesetzt hat, um zu testen, wie sie das aushalten der ganze UFO-Stoff ist da wirklich eine gute Maskerade, um den wirklichen Horror geheimzuhalten. So arbeiten Desinformations-Systeme: Sie halten dich davon ab herauszufinden, was wirklich los ist. Das hat dann ähnliche Konsequenzen wie das, was Sie eingangs von der Unterwanderung der Friedensbewegung berichteten: Jeder hält jeden für einen Desinformanten oder Agenten. Es gibt kaum einen UFO-Forscher, der nicht schon als Regierungsagent oder Desinformant bezeichnet worden ist, und das erschwert natürlich auch das konstruktive Arbeiten ungemein. Als ich in den 70ern in der Organisation zur Verteidigung von Timothy Leary arbeitete, wurde jeder verdächtigt, ein Spitzel der Regierung zu sein, einschließlich mir. Was die Untersuchung von mysteriösen Phänomenen wie UFOs oder Kornkreisen und anderen Rätseln betrifft ein Teil läßt sich sicher mit natürlichen Ursachen erklären, ein Teil sind sicher Fälschungen und ein anderer Teil Halluzinationen aber ein gewisser Teil ist echt mysteriös und bedarf weiterer Erforschung. Doch nur wenige Leute geben gerne zu, dass etwas wirklich mysteriös ist, und suchen sofort nach kompletten Lösungen: UFOs, Außerirdische, Elfen oder Devas. Ich bevorzuge, solange die Datenlage konfus ist, eher keine Antwort als eine vorschnelle. Das zeichnet für mich auch Ihr Herangehen an das Thema Verschwörungstheorien aus: dass Sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und nicht behaupten, für jedes Problem eine Lösung zu haben sondern eher die richtigen Fragen stellen und an den richtigen Stellen Witze machen ... Was die Vollständigkeit angeht, halte ich es mit Charles Fort: Mein Magen kann nicht die ganze Welt verdauen und was das Verstehen betrifft: Ich glaube nicht, dass ich auch nur einen Bruchteil des Universums verstanden habe, und wundere mich über die Leute, die behaupten, sie hätten es verstanden. Diese großen Erörterungen von Fragen, ob Gott die Welt nun erschaffen hat oder ob wir ein Zufallsprodukt sind, amüsieren mich immer wieder und haben meinen Eindruck verstärkt, dass das menschliche Gehirn einfach nicht die Kapazität bietet, das alles wirklich zu verstehen. Aber vielleicht ist ja auch nur mein Gehirn nicht fortgeschritten genug, und es mag andere geben, die nicht so dumm sind wie ich und alles verstehen aber es ist ihnen bisher nicht gelungen, mich von ihren Argumenten zu überzeugen. Robert Anton Wilson ist berüchtigt dafür, dass er den Dingen immer um einige Jahre voraus ist. Wenn das Thema Verschwörung, das du schon vor 30 Jahren entdeckt hast, heute ein Gegenstand des Mainstream ist, was sind dann die Ideen und Fakten, die dich aktuell beschäftigen, und welche Aussichten haben wir für die Zukunft? Ich fühle mich, auf fast schon blasphemische Weise, fröhlich. Ich glaube, das Internet unterscheidet sich von allen vorherigen Technologien insofern, als es tatsächlich das »globale Dorf« manifestiert, das McLuhan in den 60er Jahren voraussah. Wir brauchen keine »Weltregierung«, die viele Leute fürchten, weil alle Regierungen schon viel zu machtvoll geworden sind und weil jede Art von zentralisierter Macht die Leute korrumpiert, die an ihr teilhaben. Aber das Internet bietet eine Alternative eine weltweite Gemeinschaft mit dezentralisierter Kontrolle und wachsenden Fähigkeiten, Entscheidungen zu treffen. Politiker sind obsolet: Im nächsten Jahrtausend werden wir uns selbst repräsentieren.
 
 

 

 

 
 
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