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Religionswissenschaft

 
       
  Religionswissenschaft (Religionsgeschichte) Zur Religionswissenschaft im weitesten Sinn gehören die Studien, die sich mit Religion und mit den Religionen beschäftigen, wie Religionsgeschichte, Religionssoziologie, Religionspsychologie, Religionsphilosophie und Religionsphänomenologie. Im Unterschied zur Theologie ist die Religionswissenschaft eine empirische (auf Erfahrung bezogene) Wissenschaft. Sie will nicht verkündigen, sondern erkennen und verstehen. 1. Der Anlass zum Vergleich von Religionen ist z. B. dann gegeben, wenn fremde Religionen sich begegnen. Als sich in der Epoche der Conquista (span. « Eroberung », die Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt im 15. und 16. Jahrhundert) das europäische Christentum über die ganze Welt auszubreiten begann, lernte das Abendland bislang unbekannte Religionen kennen. Mit der plötzlich gestellten Aufgabe, diese fremden Glaubensweisen zu begreifen, waren die Christen völlig überfordert. Mit dem Problem des Pluralismus der Religionen hatte sich bereits lange zuvor die Antike auseinander gesetzt. Die « griechische » und «römische Deutung » (interpretatio graeca und interpretatio romana) hatte fremde Götter, die in den Gesichtskreis der antiken Welt eingetreten waren, einfach mit den Namen griechischer und römischer Gottheiten belegt. Das Fremde mittels bekannter Namen zu beschreiben, ermöglicht in gewissen Grenzen ein Verstehen des Unbekannten. Diese Methode wurde von den Römern auch gegenüber der germanischen und der keltischen Religion angewendet. So schrieb Tacitus (römischer Geschichtsschreiber, ca. 50-ca. 116) über die Germanen: «Von den Göttern verehren sie am meisten Merkur [germanisch: Wodan], dem sie an bestimmten Festtagen auch Menschenopfer darbringen dürfen. Herkules [germanisch: Donar] und Mars [germanisch: Ziu] versöhnen sie mit erlaubten Tieren.» Die Römer verglichen aber nicht nur die anderen Götter mit den ihrigen, darüber hinaus übereigneten sie den eigenen Gottheiten Qualitäten der fremden Götter. Dadurch wurden die römischen Gottheiten mythologisch immer reicher ausgestattet. (Mythos) Vermischung von verschiedenen Gottheiten ist kennzeichnend für die religiöse Situation der Spätantike. Man bezeichnet diesen Vorgang mit dem Begriff Synkretismus. Entgegengesetzte Absicht verfolgte der Religionsvergleich, den die Christen vornahmen (interpretatio christiana): Das Fremde sollte abgewehrt werden. Lukian von Samosata (ca. 120-ca. 180) beispielsweise schrieb über Gottheiten des ägyptischen Tierkultes: « Du hundsköpfiger, in Leinen gehüllter Ägypter, wer bist denn du ? Und wie kannst du elender Hund ein Gott sein wollen? Und wozu lässt sich der bunte Stier aus Memphis verehren und gibt Orakel und hat Priester ? » Während die Römer die germanischen Götter grundsätzlich akzeptierten und sie sogar mit den eigenen gleichstellten, erklärten die Christen germanische Götter zu bösen Geistern, Dämonen und Teufeln. « Alle Götter der Heiden sind Dämonen.» (Augustinus, 354 - 430) Begegnung mit fremden Kulten und Kultstätten führte bisweilen zur Akkomodation (Anpassung) an vorgefundene Glaubensformen und Riten. Um die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert schrieb Papst Gregor der Große an einen Missionsbischof bei den Angelsachsen: «Ich bin der Meinung, man solle die Götzentempel bei diesem Volke nicht zerstören, nur die Götzenbilder, die sich darin befinden, vernichten, die Mauern aber mit Weihwasser besprengen, um sie gleichsam zu reinigen, Altäre darin errichten und Reliquien niederlegen, damit, wenn das Volk sieht, dass man seine Tempel unversehrt lässt, es seinen Irrtum von Herzen ablege und sich an den nun einmal gewohnten Stätten zur Anbetung des wahren Gottes williger versammle.» Durch diese Maßnahmen konnten sich traditionelle Phänomene der besiegten Religionen gleichsam unter dem Deckmantel des Christentums erhalten. 2. Religionswissenschaft basiert auf Erkenntnissen der Religionsgeschichte. Das Christentum selbst steht nicht in der Mitte ihrer Fragestellungen; auch hat sie sich vom christlichen Absolutheitsanspruch losgelöst und von der christlichen Theologie emanzipiert. Sie möchte nicht einem Glauben oder einer religiösen Gemeinde dienen, sondern versteht sich als freie Forschung. Religionswissenschaft ist deshalb bei vielen Theologen umstritten. Adolf von Harnack (1851-1930) hielt sie für überflüssig («Wer die christliche Religion kennt, kennt alle.»). Nach Karl Barths (1886 -1968) Meinung gibt es nur eine Offenbarung Gottes, nämlich diejenige in Jesus Christus; folglich können die Religionen der Welt den Christen nichts wesentlich Neues sagen. Andere Theologen vertreten allerdings eine entgegengesetzte Auffassung und meinen, Theologie sollte in Religionswissenschaft aufgehen; die christliche Religion sei nämlich lediglich eine historische Größe neben anderen innerhalb der Geistesgeschichte der Menschheit. Christliche Theologie geht von der Annahme einer einmaligen Offenbarung Gottes in Jesus aus. Für Religionswissenschaftler ist es indessen keine wissenschaftliche Frage, ob Religionen auf Offenbarungen beruhen; denn « Offenbarung » ist kein wissenschaftlicher, sondern ein Glaubensbegriff. Deshalb kümmert sich die Religionswissenschaft auch nicht um die Wahrheit oder Gültigkeit einer Religion. Sie beschäftigt sich stattdessen mit den geschichtlichen Tatsachen der Religionen, nicht aber mit deren theologischer Bedeutung. Religionswissenschaft klärt Begriffe wie « Opfer » und « Sühne », - « Sakrament » und « Mysterium », - « Kult » und « Mythos ». Worte wie « Heiland » oder « Logos » (Wort, Vernunft), « heilig » oder « Sünde », die im Christentum von Bedeutung sind, werden von den Religionen her erklärt, in denen sie vorkommen oder entstanden sind. Was Religion ist, will die Religionswissenschaft empirisch, d. h. durch das Studium der Religionen selbst, herausfinden. Dabei stellt sie nicht die Frage nach dem Ursprung von Religion. Wissenschaftlich kann darüber noch weniger ausgesagt werden als über den Ursprung der Welt und des Menschen. Die Frage nach dem Ursprung, gekoppelt mit der Frage nach dem Wesen von Religion, ist eher ein Problem der Theologie oder der Philosophie. In zurückliegender Zeit hat die Religionsgeschichte unter dem Einfluss des Entwicklungsgedankens die Theorie aufgestellt, die Geschichte der Menschheit vollziehe eine Entwicklung, an der auch Religion teilhätte, indem sie von primitiven zu höheren und höchsten Formen emporgestiegen sei. In den « primitiven Religionen» und ihren Erscheinungen wie Ahnenkult und Fetischismus (Fetisch: machtgeladener Gegenstand) glaubte man, das Urstadium religiöser Entwicklung vor sich zu haben. Die Theorie des Animismus leitet alle Religionen vom Geisterglauben ab. Andere Theoretiker nahmen ein noch früheres Stadium an, in dem es Religion angeblich nur als Magie gab. Die Theorie des « Dynamismus » hielt den Glauben an eine alles durchdringende, unpersönliche Macht für den Ursprung von Religion. Die Entwicklung der Religion dachte man sich dann in Stadien: Aus dem Geisterglauben habe sich der Glaube an Dämonen und aus diesem der Götterglaube entwickelt, wobei es zunächst den Polytheismus (Glaube an mehrere Götter) gab, der sich schließlich zum Monotheismus (Eingottglauben) verdichtete. Heute wird die Theorie einer einlinigen Entwicklung von Religion nicht mehr aufrechterhalten; man geht auch nicht mehr von einem « vorgeschichtlichen Stadium» der « primitiven Religionen » aus, auf die die Religionen der « Kulturvölker » gefolgt wären. Die angenommenen « Frühstadien » lassen sich nämlich nicht historisch bezeugen. Hingegen belegen schon früheste Urkunden der ältesten Kulturvölker, der Ägypter, Babylonier, Inder und Chinesen, den Kult von Göttern. Dass sich der Gottesglaube aus Animismus oder aus Dämonenvorstellungen entwickelt habe, lässt sich demnach nicht nachweisen. Deshalb untersucht Religionswissenschaft nicht mehr die Geschichte von Religion, sondern die Geschichte der Religionen. Religionen gelten dabei selbst als geschichtliche Erscheinungen. Sie gehören zu politischen Gebilden, zu Stämmen, Völkern, Staaten und Reichen. Sie sind von der jeweiligen Kultur und von politischen Entwicklungen beeinflusst und wirken ihrerseits auch auf die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse ein. Religionswissenschaftliche Fragestellungen richten sich 1. auf die Gläubigen selbst, 2. auf das, was diese glauben, 3. auf die Beziehungen zwischen den Gläubigen und ihrem Glauben und auf die gesellschaftlichen Auswir- kungen von Religion. Die seelischen Zustände, Gefühle und Strebungen des Gläubigen untersucht hingegen die Religionspsychologie. Als Gegenstand des Glaubens bezeichnet die Religionswissenschaft häufig ein unpersönliches Heiliges, dessen Wesen « Macht » sei, die sich offenbare. Glaube enthält die Vorstellung, dass die Macht dessen, der verehrt und angerufen wird, in die Welt hineinwirke und so das Leben der Menschen bestimme. Die eigentliche religiöse Frage lautet demnach nicht: «Wer ist Gott? », sondern: «Was tut er für uns, und was verlangt er dafür ? » Der Kontakt zwischen den Gläubigen und der Gottheit vollzieht sich im Kult. Der Kult ist ein zweckbestimmtes Wechselverhältnis. Von der Gottheit wird « Heil » (Gnade, Segen) erwartet. Zorn und Grimm der Gottheit (Fluch, Unheil) müssen hingegen abgewendet werden. Deshalb gibt es Gebet und Opfer, Reinigung und Weihe, Lob und Sühnehandlungen. Religion ist aber nicht nur auf den kultischen Bereich beschränkt. Sie wirkt sich auch im profanen Leben der Menschen aus. Religionen haben einen geschichtlichen Charakter. Deshalb gehören zur religiösen Überlieferung immer auch Gesetze. Die religiösen Gesetze beziehen sich nicht nur auf den Kult und auf das Verhalten an heiligen Stätten. Sie bestimmen auch das sonstige Verhalten der Menschen und das Gemeinschaftsleben. In den alten Kulturen gründen die sozialen und ethischen Ordnungen, Recht, Sitte und Gesetz, in der Religion. Die Götter selbst sind Hü- ter des Gesetzes. Wer Sitte und Gesetz verletzt, zieht Zorn und Rache der Götter auf sich.  
 

 

 

 
 
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