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Aberglaube

 
       
  Aberglaube, abgeleitet von Afterglau-be = Mißglaube (Luther, 15. Jh.) Eine abwertende Bezeichnung von Glaubensvorstellungen und Bräuchen, die zunächst von der Kirche gebraucht wurde, um Andersgläubige auszugrenzen, besonders wenn es sich um heidnisches und vorchristliches Glaubensgut handelte. Die lat. Bez. lautet superstitio, was wörtlich übersetzt »Ãœberglaube« bedeutet. Zu allen Zeiten waren die Religionen gezwungen, den Aberglauben in beschränktem Umfang als eine »subjektive Draufgabe« zu dem herrschenden Glauben zu tolerieren. Mit Beginn des 19. Jh. wurden alle Ideen und Vorstellungen, die den Naturwissenschaften zu widersprechen schienen, dem A. zugerechnet. So spricht man z. B. im abwertenden Sinne vom A. in der Medizin oder dem Heilaberglauben, wenn man alternative Heilverfahren bzw. die ganze Volksmedizin von der Schulmedizin abgrenzen will. Der kämpferische Materialismus besonders der marxistischen Richtung bezeichnete alle Religionen als »unwissenschaftlichen A«. (Karl Marx: »Die Religion ist Opium des Volkes.«) Die moderne Esoterik versteht unter A. wieder die alten heidnischen Vorstellungen und Bräuche, die vom Christentum unterdrückt wurden. Unter dem Begriff Neuheidentum erleben die alten vorchristlichen Religionen Europas eine Wiederauferstehung. In der Kräuterheilkunde, Edelsteinmedizin, Aromatherapie und Farbtherapie wird uraltes Menschheitswissen, das lange als A. belächelt wurde, neuentdeckt und zur Heilung benutzt.

Aberglaube ist ein abschätzig wertender Begriff für « verkehrten » Glauben (aber « falsch » ); er bezeichnet überholt und rückständig erscheinende Ansichten, die von den Überzeugungen des Urteilenden abweichen und über die er sich erhaben dünkt. Dabei sind die Grenzen zwischen Glauben und Aberglauben durchaus fließend. Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Aberglaubens besteht darin, dass er alte religiöse Vorstellungen und Erscheinungen insbesondere magischer und dämonologischer Art festhält, indem er unerklärlichen Kräften der Natur Willen und Gestalt von Geistern, Dämonen und Hexen zuspricht. Dabei ist der Gedanke der Analogie (« Sympathie ») grundlegend: Similia similibus (« Gleiches wird durch Gleiches bewirkt » ); damit Regen fällt, gießt man Wasser aus. Irdisches Geschehen entspricht himmlischem; der Makrokosmos gleicht dem Menschen als Mikrokosmos. Von praktischer Bedeutung sind Aneignungszauber und Abwehrzauber (durch sakrale Mahlzeiten, Salbung, besondere Kleidung, Berührung eines heiligen Gegenstandes versucht man sich magische Kraft zuzuführen). Vor bösen Kräften sollen Kraftmittel wie Blut, Speichel, Zauberwort, Tätowierung, Amulette, aber auch Opfer und Beschwörungen schützen. Der Aberglaube ist ein Produkt der Vermischung religiöser Traditionen (« synkretistisch »). Gedankengut persischen, arabischen, jüdischen und ägyptischen Ursprungs kam vor allem nach der Eroberung des Gebietes zwischen Euphrat und Tigris durch Alexander den Großen (Zarathustra) und später mit dem Vordringen der Araber nach Europa. Seither wird es von Generation zu Generation weitergegeben; als magische Grundstimmung wirkt es fort und verlebendigt sich besonders in Krisenzeiten. (Magie) Auch inmitten zahlreicher christlicher Betätigungen - in Gebet, Andacht und sonstigem Brauchtum - finden sich magische Anteile. Durch Magie und Aberglauben will der Mensch den Schleier lüften, der über sein Schicksal gebreitet ist, überzeugt, dass hinter der angeblich nur wissenschaftlich erschließbaren Wirklichkeit das Numinose (von lateinisch nuo, «das unpersönlich Göttliche ») und Irrationale mächtig fortbesteht; mittels bestimmter Rituale und religiöser Praktiken soll es erschlossen und manipuliert werden. Dass magische Maßnahmen mitunter tatsächlich Wirkung erzielen, dürfte daran liegen, dass geheimnisvolle Ankündigungen oft nachträglich als Voraussagen von Ereignissen angesehen werden, die die betroffenen Personen selbst herbeigeführt haben (self-fulfilling prophecies, « sich selbst erfüllende Prophezeiungen » ).

Der A. rechnet mit übernatürlichen Kräften, Mächten und Wesen, die in das menschliche Leben hineinwirken. Die Sterne haben Macht über das menschliche Schicksal, Dämonen, Hexen, böse Geister gefährden Gesundheit und Leben des einzelnen und der Gemeinschaft. Der abergläubische Mensch versucht auf vielerlei Weise, diesen Mächten auf die Spur zu kommen. Das Horoskop entschlüsselt das Geheimnis der Gestirne, Wahrsager deuten die Zukunft mit allerlei Hilfsmitteln (z. B. Handlesen, Kartenlegen, Pendelschnur). Ereignisse werden als zeichenhaft gedeutet. Dabei spielen bestimmte Tiere eine Rolle, etwa die Spinne, die Katze oder die Eule, bestimmte Berufe, wie Schornsteinfeger, bestimmte Zeiten, wie Mitternacht, bestimmte Orte, wie Wegkreuzungen oder Friedhöfe. Der abergläubische Mensch versucht, sich gegen die schädlichen Einflüsse zu schützen und die glückbringenden herbeizulocken, etwa durch Amulette, Maskottchen, Beachtung von Glücksund Unglückszeiten und -zahlen, durch Klopfen auf Holz. A. kann Menschen stark in den Bann schlagen und unfrei machen. Der Glaube an Gott befreit vom A., Glaube und A. schließen sich aus. –,Glauben; Horoskop H.-J. J.

Aberglaube, ein Glaube wider bessere Einsicht. Bei den Griechen bezeichnete deisidaimonia die Haltung, dem Göttlichen nicht vernünftig verehrend gegenüberzutreten, sondern ihm aus Furcht übertrieben und unwürdig zu begegnen; denselben Sinn hat das lat. superstitio (unbeschadet davon erschien den Griechen die röm. Religion als A.). Der Begriff A. kam ins Deutsche entweder über das holländ. overgeloof, »Überglaube« (dem widerspricht nicht unbedingt die Deutung »Afterglaube« = falscher Glaube), oder es wurde im 15. Jh. dem lat. superstitio direkt nachgebildet. A. bezeichnet einen Glauben an die Wirkung wiss. nicht nachweisbarer, oft personifiziert gedachter Kräfte, die auch die jeweils herrschende Religion nicht anerkennt; die Prädikatisierung stellt also immer ein relatives Urteil dar. — Jacob Grimm schreibt in der Deutschen Mythologie: n... da, wo das christentum eine leere stelle gelassen hat, ... wucherte der aberglaube oder überglaube.« Tatsächlich finden sich im A. oft Survivals (»überlebsel«) vergangener Glaubenslehren, die im neuen Kontext fehl am Platze sind. Solche Reste können als Handlungen, deren Ursprung und Sinn kaum mehr bekannt sind (»dreimal auf Holz klopfen« usw.), als mißverstandenes Element in der offiziellen Glaubenswelt (etwa Germanisches im Christentum) oder als Vorurteil überleben (andererseits mögen auch Vorurteile mit pseudoreligiösen Argumenten gerechtfertigt werden). Für die Volkskunde ist der A. eine Fundgrube alter, z. T. vorchristl. überlieferungen, die sich in Gebräuchen, in Zauberei, Orakel, in Abwehr oder Herbeiführung von Unheil erhalten haben. Diese abergläubischen Vorstellungen und Praktiken finden sich auch in außereurop. Kulturen, deshalb wird das Wort A. in der Völkerkunde durch Volksglauben ersetzt oder tendenziös abwertend verwandt, nur selten bezeichnet es hier die religiösen Survivals. Für die Pps. erscheinen beide Bezeichnungen sinnvoll: Volksglaube für das wichtige Reservoir vor-wiss. Erklärungen des Paranormalen, A. für eine Position, die die Pps. ihrem aufklärerischen Selbstverständnis entsprechend dadurch bekämpfen will, daß sie ihr in »positiver Kritik des A.ns die irrationale Legitimation entzieht. Diese psychohygienische Zielsetzung muß allerdings berücksichtigen, daß der A. vielfältige soziale Funktionen hat, so kann z. B. ein sozial schädlicher individueller Wahn aufgefangen werden durch Integrierung in ein kollektives, vom A.n bestimmtes System. Im Zuge der Aufklärung wurden gelegentlich alle nichtwiss. Vorstellungen und die Inhalte traditioneller Wiss. zum A.n gerechnet. Die Folge dieses Vorurteils war, daß Volks- und Völkerkunde hinter Aussagen, die auf ein paranormales Geschehen hinzuweisen schienen, nur selten einen hist. oder naturwiss. wahren Kern vermuteten. Die reichen Falldarstellungen dieser beiden Disziplinen müssen deshalb für die pps. Kasuistik erst noch erschlossen werden. Eine scheinbar partiell antiaufklärerische Position wurde für die Theologie bereits von Horst (183o) vollzogen: »Aus dem Dunkel des A.ns geht oft das Licht der Wahrheit hervor, und dessen Unterlage beruht häufiger als wir glauben auf dem untergegangenen Rechtglauben.« Und Lecomte du Noüy (1947) sieht im A.n schlicht den Vorläufer des Glaubens. Amulett; Analogie;Besprechen; Gespenst; Hexe; Partizipation; Prokop; Psychohygiene; Segen; Sympathie; Tabu; Talisman; Versehen; Volkskunde; —> Volksmedizin.Verleugnung, Verschiebung, Phantasie, Identifikation, Rationalisierung, Sublimierung. Diese Mechanismen können »normal« oder Teil eines pathologischen Systems sein; 3. in der Pps. läßt sich der Sinn eines paranormalen Ereignisses gelegentlich erfassen als Effekt eines A.mechanismus, dem das Spektrum normalen Verhaltens nicht mehr ausreichte und dessen Anspruch so stark war, daß in einer Art psychischer Explosion das Paranormale in seinen Dienst gestellt wurde. Das Konstrukt der A.mechanismen kann zwar nicht als Erklärung, wohl aber dem Verständnis dienen: Der Spezialisierung mancher Paragnosten auf die Sexualsphäre ihrer Klienten mag ein projektiver oder auch ein identifikatorischer Mechanismus zugrunde liegen; manche Spukphänomene können als Verschiebung gedeutet werden oder auch, wo aggressive Tendenzen nicht ausgelebt, sondern (paranormal) abreagiert werden, als Sublimierung. Manche Autoren, die die MutterKind-Telepathie zur normalen Kommunikation des Kindes zählen, sehen in der Telepathie überhaupt eine Regression auf die Kleinkindstufe. Es lassen sich aber auch Fälle denken, in denen die paranormale Manifestation nicht im Dienst der A. steht, sondern sie zu unterlaufen versucht.Das gilt vor allem für die Verdrängung. Das System der A.mechanismen verhindert, daß die Impulse, die aufsteigen und bewußt werden wollen, ins Bewußtsein gelangen. In einer Art Obersprungshandlung aber gelingt es diesen Impulsen, sich außerhalb des Individuums im psychokinetischen Ereignis zu objektivieren: ein Todeswunsch, der ein Porträt zu Fall bringt; der Wunsch nach der Aufmerksamkeit des unerreichbaren verheirateten Pfarrers, die durch Einschalten von Spuk und Besessenheit doch noch erreicht wird (Dittus); der uneingestandene Sexualwunsch, der zum telepathischen Traum wird (Inkubus).
 
 

 

 

 
 
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