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Urgemeinde Die Christen der ersten zwei bis drei Generationen rechnet man zum «Urchristentum », die erste Gruppe von Jesusanhängern, die sich nach den Osterereignissen in Jerusalem bildete, nennt man dagegen «Urgemeinde ». Das Ende des Jesus von Nazareth am Kreuz war über seine Jünger wie eine Katastrophe hereingebrochen. Aber kurz danach verkündigten sie, Gott habe Jesus nicht im Tod gelassen: Er sei vielmehr auferstanden. (Auferstehung) Damit sei erwiesen, dass dieser Mann der Messias gewesen war, den die Juden seit langem erwartet hatten. (Christus) Demnächst werde er in Herrlichkeit wiederkommen. Die Gemeinde in Jerusalem In Apostelgeschichte 1 -15 werden die Anfänge der Urgemeinde aus einem zeitlichen Abstand von etwa fünfzig Jahren geschildert. Zweifelsohne ist diese Darstellung lückenhaft. Die tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse lassen sich jedoch aus verstreuten Angaben in den Briefen des Paulus (z. B. Gal. 1-2) annäherungsweise rekonstruieren: Nach Jesu Tod scheint der Kreis seiner Jünger auseinander gebrochen zu sein (vgl. Mk. 14, 50; 16, 7). Da aber kam es zu den « Ostererscheinungen ». Zuerst ist Petrus, dann den « Zwölfen » (Apostel), schließlich auch anderen der gekreuzigte und auferweckte Herr « begegnet ». «... und dass er gesehen worden ist von Kephas [Petrus], danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, etliche aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Am letzten nach allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.» (1. Kor. 15, 5 ff.) Der erste «Zeuge », Simon mit dem Beinamen « Kephas » (aram. « Fels »), hat wohl die Jünger wieder um sich gesammelt. Aus Galiläa zogen sie unter seiner Führung zurück nach Jerusalem. Vielleicht kam es dort zu der erwähnten Erscheinung vor den « fünfhundert Brüdern ». Damit entstand die christliche Urgemeinde. Denjenigen ihrer Glieder, die Jesus nicht persönlich gekannt hatten, musste nun erklärt werden, wer dieser Mann eigentlich gewesen war. So entstand die Predigt von Jesus aus Nazareth als dem Messias. Die Jesusanhänger waren Teil der jüdischen Tempelgemeinde, und ursprünglich wendeten sie sich nur an die Juden. In Jerusalem und Judäa (1. Thess. 2, 14; Gal. 1, 22), Galiläa und Samaria (Apg. 1, 8; 8, 1 ff.; 15, 3) und im Küstenland (Apg. 9, 32 ff.) bildeten sich bald darauf die ersten Gemeinden. Das Verhältnis zu den Juden war wechselhaft; offenbar kam es zu einzelnen Verfolgungen (1. Thess. 2, 14), im Großen und Ganzen aber blieben die Christen unbehelligt (Apg. 9, 31). Die Juden hatten auch wenig an ihnen auszusetzen, denn die Christen hielten sich an das jüdische Gesetz. In den ersten Jahren war Petrus das Haupt der Urgemeinde (Gal. 1, 18). Der Leitungskreis der « Zwölf » erinnert an die zwölf Stämme Israels und soll symbolisch das Volk der Endzeit repräsentieren. «Hebräer» und «Hellenisten» : urchristliche Fraktionen Im 1. Jahrhundert n. Chr. waren die Grenzen zwischen Judentum und « Heidentum » bereits fließend geworden. Es gab große Judengemeinden außerhalb Palästinas. In der hellenistischen «Diaspora» (Zerstreuung der Religionsgenossen unter Andersgläubigen) entfernten sich die Juden immer weiter von ihrer heimatlichen Tradition, indem sich alttestamentlich-jüdischer Glaube mit griechisch-römischer Weltanschauung vermischte. Lange Jahre dauerte es, bis sich die Christen selbst zur « Heidenmission » nach dem Vorbild der Juden entschlossen. Darüber spaltete sich die urchristliche Gemeinde (1. Thess. 2, 15f.) in zwei Fraktionen: Der palästinensisch-hebräischen Gruppe standen Juden aus der Diaspora gegenüber, die Christen geworden waren. Zwischen den « Hebräern » und den « Hellenisten » kam es zu heftigen Spannungen. Das Neue Testament verwischt diese Gegensätze. Tatsächlich stießen nicht nur unterschiedliche Sprachen (die einen sprachen Aramäisch, die anderen Griechisch) und Kulturen, sondern auch gegensätzliche theologische Anschauungen aufeinander. Die Spannungen entluden sich im Streit des Paulus mit der Urgemeinde in Jerusalem über die Frage der Heidenmission. Als hellenistische Christen Missbilligung und Verfolgung der Juden auf sich zogen, wurde ihr Wortführer Stephanus (Apg. 6, 8 -10) wegen seiner Attacken wider Tempel und Gesetz, das heißt wegen Gotteslästerung, gesteinigt und damit zum ersten christlichen Märtyrer. Er hatte die Juden mit der Behauptung brüskiert, der Messias Jesus werde den Tempelkult abschaffen und das Gesetz umwerfen. Auch die Anhänger des Stephanus wurden nun verfolgt (Apg. 8, 1 ff.); sie mussten Jerusalem verlassen. Die Apostel, unter ihnen Petrus und Jakobus, blieben. Sie sahen keinen Anlass, sich mit der Stephanuspartei zu solidarisieren. Die Vertriebenen zogen durch Judäa und Samaria und missionierten (Apg. 8, 4; 8, 26 ff.). So kamen sie schließlich bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia. Der Begründer der eigentlichen « Heidenmission » war wohl Barnabas (Apg. 4, 36f.; 9, 27; 11, 22 ff.). In Antiochia entstand eine Heidenkirche. Deren Mitglieder waren zum großen Teil « Unbeschnittene » (Nichtjuden), und sie brauchten nicht erst zum Judentum überzutreten, um Christen werden zu können. Alsbald nahmen sie selbst die Mission der Heiden in die Hand. Ihre Gegner gaben ihnen den Namen « Christianer » oder « Chrestianer » (Apg. 11, 26). Dies zeigt, dass sie sich nachdrücklich von den Juden abhoben. Die Heidenchristen hielten sich keineswegs ans jüdische Gesetz. Aber sie waren darauf bedacht, von der Muttergemeinde in Jerusalem anerkannt zu werden und mit ihr in Kontakt zu bleiben (Apg. 11, 29f.; 12,25). Während sich im Glauben der Judenchristen alles um die bevorstehende Wiederkehr des Auferstandenen drehte, trat bei den Heidenchristen die Erwartung des nahen Endes mehr und mehr zurück. Stattdessen entwickelten sich bei ihnen rituelle Frömmigkeit, Mystik, Ekstase, « Zungenreden » und der Glaube an einen Gott, der auf die Erde herabgekommen, gestorben und auferstanden ist, der im Kult verehrt wird und an dessen Auferstehung die Gläubigen dadurch teilhaben können, dass sie die Sakramente (Abendmahl; Taufe) empfangen. Rasch nahm die Zahl der Heidenchristen zu. Die Judenchristen aber verschwanden aus der Geschichte. Ihr erster Führer, Petrus, verlor bald alle Autorität, obgleich er zum engsten Kreis um Jesus gehört hatte und der Auferstandene ihm als Erstem erschienen war. Jakobus, ein Bruder Jesu, übernahm statt seiner die Gemeindeleitung. Zu Lebzeiten Jesu hatte dieser offensichtlich von den Lehren seines Bruders nichts wissen wollen. Auch ihm war der Auferstandene begegnet (1. Kor. 15, 7). Seine Autorität stellte bald die aller anderen Apostel in den Schatten (Gal. 2, 9). Er beeinflusste die judenchristliche Gemeinde so, dass sie sich wieder stärker an Tempel und Thora (Gesetz) orientierte (Apg. 15, 5 ff.). Lange Jahre lenkte er die Geschicke der Urgemeinde. Um das Jahr 62 wurde er (nach dem Bericht des Josephus) von den Juden gesteinigt. Als die Römer sich anschickten, Jerusalem zu belagern, wanderte die Urgemeinde geschlossen ins Ostjordanland. Bis ins 4. Jahrhundert hinein existierte das Judenchristentum dort und in Syrien weiter. Das älteste Christentum verschwand schließlich aus der Geschichte, während die Hellenisten zur Eroberung der griechisch-römischen Welt ansetzten. Paulus gegen Petrus: Streit der Apostel Die größte Bedeutung unter den Heidenchristen erlangte Paulus, die wichtigste Gestalt der frühen Kirchengeschichte. Die neuen Adressaten der christlichen Mission, die « Heiden », sollten die Bewegung selbst spürbar verändern. Griechische Popularphilosophie, Mysterienreligionen und orientalisch-hellenistische Weltanschauung verdrängten die ursprünglichen Lehren des Jesus von Nazareth. Auf seinen ausgedehnten Missionsreisen trat Paulus mit Nachdruck für ein gesetzesfreies Christentum ein. Damit brachte er allerdings die Gemeinde in Jerusalem gegen sich auf. Sie schickte Vertreter nach Antiochia, wo es alsbald zu heftigen Streitigkeiten kam (Gal. 2, 4; Apg. 15, 2). Daraufhin reiste Paulus selbst zusammen mit Barnabas nach Jerusalem. Auf dem dortigen « Apostelkonvent » widersetzte sich Paulus dem Anliegen der Judenchristen. Ein Kompromiss in der Sache war nicht möglich. So einigte man sich darauf, dass Jakobus und seine Leute die Juden, Paulus mit seinen Anhängern aber die Heiden missionieren sollte (Gal. 2, 9). Paulus hatte für die Heidenchristen den Dispens vom jüdischen Gesetz erzwungen, diese sollten sich lediglich zur Enthaltung «vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht» verpflichten (Apg. 15, 28 f.). Als bald darauf Petrus nach Antiochia kam, gab es einen heftigen Zusammenstoß mit Paulus, der ihn «ins Gesicht » als « Heuchler » beschimpfte (Gal. 2, 11 ff.). Petrus hatte nämlich bedenkenlos mit Heidenchristen gespeist, dies aber anschließend vor Abgesandten des rigiden Jakobus geleugnet und stattdessen plötzlich alle Heidenchristen dazu zwingen wollen, wie Judenchristen zu leben. Die Szene zeigt, dass Petrus, der «Fels », auf den angeblich Jesus seine Kirche bauen wollte (Mat. 16, 18), schon damals keineswegs mehr die erste Autorität in der Urgemeinde war. Gegen ihn und gegen die Gemeinde in Jerusalem setzte nun Paulus die Regeln und Grundsätze für die Heidenmission und damit für die Zukunft der christlichen Kirche durch. Aber der Kampf um Lehre, Grundsätze und Macht dauerte noch lange an. Die Judenchristen standen gegen Paulus, und während dieser auf langen Missionsreisen abwesend war, fielen judenchristliche Agitatoren, ausgestattet mit (echten oder gefälschten) Empfehlungsschreiben der Urapostel, in seine Missionsgebiete ein und sorgten für Zank, Zwietracht und Spaltungen. (Pseudepigraphen) Die sich entwickelnde Kirche zersplitterte zusehends in Einzelgruppen, obwohl sich Paulus nach Kräften wehrte. « Solche Leute sind Lügenapostel, trügerische Arbeiter, die nur die Masken von Aposteln Christi tragen. Und das ist kein Wunder, denn der Satan selbst nimmt die Maske eines Engels des Lichtes an.» (2. Kor. 11, 13 f.) Auch nach Paulus’ Tod gingen die Auseinandersetzungen weiter. Der Schreiber des Jakobusbriefes etwa bekämpft mit Nachdruck die Rechtfertigungslehre des Paulus. Judenchristen erklärten Paulus zum Irrlehrer, ältesten Ketzer der Christenheit, ja zum « Antichrist » (Pseudo-Clementinische Homilien). Erst die spätere Überlieferung stellte Petrus und Paulus als ideales Apostel paar brüderlich nebeneinander. Am Ende wurde Paulus vom « ersten Papst » allerdings in den Schatten gestellt Papsttum), und im 17. Jahrhundert erklärte ein Nachfolger Petri, wer Paulus auf ein und dieselbe Stufe mit Petrus stelle, sei ein verdammenswerter Ketzer.
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