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Heilige Schrift(en) In vielen Religionen gilt das geschriebene Wort als heilig. Die Möglichkeit, Gedanken und Worte mittels der Schrift festzuhalten, war schon für die alten -> Ägypter so erstaunlich, dass sie die Hieroglyphen, die «heiligen Eingrabungen », wie Zauberwesen betrachteten. Die gleiche Zauberkraft wie das gesprochene Wort konnte allerdings auch das geschriebene Wort haben. Die Runen der - Germanen waren ursprünglich leise geraunte Zauberwörter, die als in Stein, Holz oder Rinde eingeritzte Schriftzeichen zugleich Zauberzeichen waren: Wer die Runen beherrscht, kann zaubern. Bei Babyloniern, Ägyptern und - Kelten galten die Götter selbst als Erfinder der Schrift. Auch im Christentum zeigt sich die besondere Achtung gegenüber den Schriftzeichen noch in der AlphabetMystik: A und 0 (Alpha und Omega, der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets) erscheinen z. B. in der Apokalypse des Johannes und in der christlichen Kunst als Christussymbol. Noch zauberkräftiger als Schriftzeichen sind indes Zauberformeln. Auf Bänder oder Scherben geschrieben, kann man sie als Talismane und Amulette (« Abwehr » und « Schutzmittel » ) am Hals tragen. Im alten Griechenland wurden Zaubersprüche und Flüche auf Tontafeln geschrieben und in der Nähe dessen, den man schädigen wollte, vergraben. (Fluch) Auf Gebetsriemen schreiben die Juden das «Schema Jisrael« , die Bekenntnisformel «Höre, Israel, Jahwe ist unser Gott, Jahwe ist einzig» (5. Mose 6, 4), und auf Amuletten der Christen stehen - Heiligennamen oder Bibelstellen. An heiligen Stätten (z. B. in Kirchen) werden bisweilen Briefe als Bittschriften niedergelegt. Eine Art Zaubersprüche sind auch die Wandsprüche (Bibelzitate) mit oder ohne Heiligenbilder, die man früher in christlichen Haushalten fand. Das geschriebene Wort verleiht einer Religion Dauer. Unter den Schriftreligionen gibt es solche, die ihre Texte für kanonisch, das heißt normativ, autoritativ und unfehlbar, erklärt haben. (Kanon) Es wird behauptet, dass diese Schriften göttlichen Ursprungs seien. Derartige Bibeln können schon in grauer Vorzeit entstanden sein, so etwa die Veden des alten Indien oder die fünf ching, die kanonischen Bücher der chinesischen Reichsreligion. Die anderen Bibeln der Menschheit sind auf dem Boden von Religionen entstanden, die einen Stifter haben: die kanonischen Schriften der mystischen Erlösungsreligionen Indiens (des Jainismus, Buddhismus, Taoismus) und die Bibeln der prophetischen Offenbarungsreligionen. Zu Letzteren gehören das Judentum, das die Thora mit den « Propheten » und den « Schriften » hat, das Christentum mit dem Neuen und dem Alten Testament und der - Islam mit dem Koran. Außer den kanonischen Texten gibt es in den Religionen auch Schriften mit geringerer Autorität, wie z. B. Mischna (mündliche Gesetzeslehre, Ende des 2. Jahrhunderts aufgeschrieben) und Talmud (rabbinische Auslegung der Thora) im Judentum und die Schriften der «Apostolischen Väter » im Christentum (die Briefe des Clemens, Barnabas Ignatius, Polykarp, der «Hirte des Hermas» und die Zwölfapostellehre). Hierzu sind die « apokryphen » (verborgenen) Schriften zu zählen, die von den Religionsgemeinschaften als minderwertig oder ketzerisch ausgeschlossen wurden. Diese Schriften standen ursprünglich gleichrangig neben denjenigen, die später als kanonisch galten. In den Religionen, die die Vorstellung eines persönlichen Gottes haben, führte man die heiligen Schriften auf göttlichen Ursprung zurück. Die altindischen heiligen Schriften etwa sollen durch einen Schöpfungsakt des Herrn aller Geschöpfe entstanden sein. Bisweilen heißt es auch, der Religionsstifter selbst habe sie « ausgehaucht ». Die Veden sollen von den Göttern, indem diese ihren Samen in einen Krug ergossen, gezeugt worden sein. Manche der heiligen Bücher, die angeblich von Gott höchstpersönlich gemacht sind, stammen aus dem Himmel. Der Koran etwa gilt als das « vom Himmel auf den Propheten herabgesandte Buch ». Manche Schreiber heiliger Bücher wollen den Inhalt ihrer Schriften indes in Visionen und Auditionen oder während einer inneren Erleuchtung empfangen haben. Alttestamentliche Propheten hörten Jahwes Wort und schrieben es auf. Die Inspiration des Verfassers einer heiligen Schrift kann auch dadurch erfolgen, dass er die göttlichen Worte « schaut » (Jes. 1, 1; Apk. 1, 11). Alles läuft darauf hinaus, dass nicht der Mensch, sondern Gott selbst Urheber der heiligen Schrift sei. Die Verfasser schrieben «getrieben vom Heiligen Geist» (2. Petr. 1, 21). Die Kirchen haben ihre heiligen Schriften für « inspiriert » erklärt. « Inspiration » steht für Irrtumslosigkeit und unangreifbare Autorität. Alle ihre Inhalte, die religiösen, ethischen und profanen (naturwissenschaftlichen oder historischen), gelten nun als gleichermaßen unumstößlich. Seinen äußeren Ausdruck findet der mit dieser Lehre einhergehende Biblizismus in der kultischen Verehrung des heiligen Buches. (Fundamentalismus) Im jüdischen Gottesdienst wird die ThoraRolle mit dem Zipfel des Gebetsmantels berührt und geküsst. Muslime küssen den Koran. Bei den östlichorthodoxen Christen trägt man das Evangelienbuch in feierlicher Prozession durch die Kirche; Katholiken beräuchern und küssen die Bibel nach der Verlesung des Evangelientextes; auf dem Altar der evangelischen Kirchen liegt die Heilige Schrift unter dem Kreuz. |
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