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Geistige Führer und Heiler der nordasiatischen Stämme. Sie tragen die Verantwortung für die seelische und körperliche Verfassung der Stammesmitglieder. Bei Problemen kennen sie die Rituale, mit denen Kontakt mit der Geisterwelt aufgenommen werden kann. Auf ihrer Geisterreise erfahren sie, wo die Harmonie gestört ist und wie Heilung erreicht werden kann. Ihre Praktiken und Aufgaben gleichen denen afrikanischer und indianischer Medizinmänner. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat schon vor Jahren anerkannt, daß die Heilrituale, an denen der ganze Stamm teilnimmt und bei denen auch Drogen eine große Rolle spielen, von gleicher Wirksamkeit wie die Schulmedizin sind. Mittlerweile machen überall auf der Welt Pharmakologen eine Bestandsaufnahme der verwendeten Drogen, um sie auch unserer Medizin zugänglich zu machen. Ein berühmtes Ergebnis dieser Forschung ist die Antibabypille. Niemand kann sich entschließen, Sch. zu werden, man muß von Geburt dazu bestimmt sein und vom alten Sch. und vom Stamm dazu bestimmt werden. Oft wählte man Menschen, die bei uns als psychisch krank gelten würden. Die Ausbildung ist umfangreich, beginnt als Kind und dauert 30 Jahre. Bei uns in letzter Zeit oft angebotene Kurse, die eine Ausbildung an einigen Wochenenden versprechen, mögen auf interessante Weise exotische Bedürfnisse befriedigen, haben aber nichts mit Schamanismus zu tun.
Bei vielen Stämmen auf der ganzen Welt nimmt der Schamane oder Medizinmann die wichtigste Funktion ein. Das meiste, was wir von der alten Magie wissen, haben die Ethnologen durch ihre Forschungen bei schriftlosen Völkern ans Licht gebracht. Trotz der Unterschiede in den verschiedenen Kulturkreisen geht die Magie, die auch heute noch in aller Welt praktiziert wird, offenbar von einer gemeinsamen Grundlage aus, die sich seit tausenden von Jahren nicht geändert hat.
Die Grundannahme dabei ist, dass in allem, ob lebendig oder seelenlos, ein unsichtbarer aber mächtiger Geist wohnt. Doch unter den vielen Geistern, die die Fantasiewelt der Naturvölker beherrschen, sind die häufigsten und gefährlichsten die Geister der Toten. Zu ihnen gehören wegen des Glaubens an die Seelenwanderung auch die Geister der noch Ungeborenen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass jeder, der imstande ist, sich zum Nutzen des Stammes mit der Geisterwelt auseinanderzusetzen, als unersetzliches Mitglied der Gemeinschaft angesehen wird. Jeder Stamm kennt solch einen Mann, egal, ob er sich Zauberdoktor, Medizinmann, Priester oder Schamane nennt. Die westliche Völkerkunde hat den Begriff Schamane als Bezeichnung solcher Stammespriester übernommen. Er stammt aus der Sprache der Tungusen in Ostsibirien.
Den Kontakt mit der Welt der Geister nehmen die Schamanen in p Trance auf. Überall auf der Welt benutzen Schamanen halluzinogene pflanzliche Substanzen, um »die Fesseln der Seele zu lockern« und mit Göttern, Dämonen oder verirrten Seelen zu verhandeln.
In Sibirien trinken Schamanen einen Aufguss aus dem getrockneten Hut des Fliegenpilzes, in Südamerika wird der Kaktus Peyotl (der als Bestandteil Meskalin enthält) in Scheiben geschnitten gegessen. In jedem Fall versetzen sich die Schamanen in eine Art Rausch, und oftmals haben sie in diesem Zustand Visionen. Westliche Wissenschaftler, die die Zaubertränke kosteten, berichten von unterschiedlichen Reaktionen, die von tiefen Depressionen bis zur Euphorie reichten. Die Schamanen sind in Trance auf ihre Gespräche mit den Geistern konzentriert.
Selbst gewöhnliche Ereignisse wie das gebrochene Bein eines Jägers werden in der Welt der Schamanen als Ergebnis übernatürlicher Abläufe angesehen, bei denen der Jäger vielleicht Angriffsziel böser Geister war oder den Göttern nicht den nötigen Respekt gezollt und so ihren Groll auf sich gezogen hat. Vielleicht ist es aber noch schlimmer und den Jäger hat ein Teil seiner Seele unbemerkt verlassen und sich verirrt, sodass er nun von Dämonen besessen ist. Dabei muss beachtet werden, dass das Wort Seele nicht die christliche Bedeutung wie in der westlichen Welt hat. Hier ist eher »Lebenskraft« oder »Vitalität« gemeint.
In vielen Stämmen, die Schamanismus praktizieren, werden körperliche Erkrankungen, besonders die, die mit hohem Fieber und Fieberwahn einhergehen, mit derartigen Ursachen erklärt. So herrscht bei den Altai Stämmen in Sibirien der Glaube, dass wirklich schwere Fieberanfälle dadurch verursacht werden, dass die Seele des Kranken im Reich des Erlik Khan, eines der obersten Herrscher der Unterwelt, gefangen gehalten wird. Genauso wird angenommen, dass ein Schamane in Trance in den Himmel reisen kann, außerdem hält man es auch für natürlich, dass er in die sieben »pudaks«, was so viel wie Hölle bedeutet, hinabsteigen kann. Doch diese Reise ist gefährlich und kann nur von den versiertesten und weisesten Schamanen unternommen werden, den »blauen Schamanen« der höchsten Stufe. Sie laufen Gefahr, beim Höllenbesuch ihr Leben zu verlieren oder wahnsinnig zu werden. Tatsächlich gibt es Berichte von Schamanen, die während einer solchen Zeremonie in Trance zu Tode kamen.
Zunächst sucht der Schamane die Umgebung des Hauses des Kranken nach der Seele ab. Erst dann entsendet er seinen Geist, um in den Wäldern und den Weiten der Steppen zu suchen. Wenn er sie findet, überredet er sie, in den Körper zurückzukehren. Findet der Schamane die Seele nicht, muss angenommen werden, dass sie im Palast von Erlik Khan gefangen gehalten wird. Dies bedeutet, dass der Patient sterben wird. Wenn der Schamane sie dort findet, bekommt er sie nur zurück, wenn er eine andere Seele dafür zum Tausch anbietet.
Der Schamane handelt zunächst mit dem Patienten oder seinen Angehörigen eine Vergütung für die Wiederbeschaffung der verlorenen Seele aus. Dann wird beschlossen, wessen Seele gestohlen und Erlik übergeben werden soll. Während das ausgesuchte Opfer noch schläft, verlässt der Schamane seinen Körper und verändert die Gestalt seines Geistes. Meist wählt er die Gestalt eines Adlers. Er fliegt dann zum Haus des Opfers und ergreift die sich wehrende Seele. Dann folgt die Reise in die Tiefe zu Erlik Khans Palast, wo der Schamane höflich um den Austausch der Seelen bittet, dem in der Regel zugestimmt wird. Nun kehrt der Schamane mit der freigelassenen Seele zum Körper des Kranken zurück, der sofort genesen wird. Der Mann, dessen Seele gestohlen wurde, wird erkranken und sterben. Wenn er nicht selbst einen »Seelentausch« arrangieren kann.
Selbst die katholische Kirche bestätigt die Erfolge der Schamanen, schreibt sie aber nicht den Menschen zu, sondern Satan, dem angeblichen Meister aller Schamanen und Zauberer. Mehrere spanische Chronisten berichteten nach der Kolonisation Südamerikas, dass die von Schamanen erhaltenen Informationen »genau stimmten«. So erklärte Gonzalo d’Oviedo y Valdez, dass die indianischen Schamanen über geheime Mittel verfügten, um mit Geistern zu kommunizieren, »wann immer sie die Zukunft vorherzusagen wünschen.« Der Jesuit schrieb über ein Ereignis, das er selbst mit erlebt hatte, bei dem ein Schamane in Trance war: »Der Schamane schien sich in Ekstase zu befinden und seltsame Schmerzen zu erdulden. (...) Während er bewusstlos auf dem Boden lag, stellte der Häuptling Fragen, und der Geist antwortete durch den Mund des inspirierten Mannes auf ganz genaue Art und Weise.« Oft fertigen Schamanen Felszeichnungen an von halb Mensch, halb Tiergestalten.
Aber auch viele Ethnologen der heutigen Zeit, die Schamanen bei ihren Tätigkeiten beobachteten, haben ihre unerhörte Wirkung geschildert. Manche der Schamanenfähigkeiten sind wissenschaftlich erklärbar. So haben medizinische Forschungen erwiesen, dass viele der Kräuter, die seit Jahrhunderten von Schamanen verwendet werden, hoch wirksame Heilmittel sind. Weniger leicht ist die Beziehung zwischen Geist oder Seele und Körper zu erklären. Die moderne Wissenschaft forscht intensiv darüber. Psychiater bestätigen seit langem, dass die Seele die Eigenschaft besitzt, körperliche Leiden zu beeinflussen. In einer Gesellschaft, in der der Glaube an die Kräfte der Schamanen herrscht, können seelische Kräfte die Wirksamkeit magischer Handlungen wesentlich verstärken. |
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