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Intoleranz (Toleranz) Die Unduldsamkeit des Christentums Andersgläubigen gegenüber hängt mit dem Selbstverständnis der christlichen Religion zusammen. Die christliche Religion geht davon aus, dass es nur eine Wahrheit gebe, die Gott in Christus geoffenbart habe. Jesus, so heißt es im Johannesevangelium, hat diese Wahrheit ausschließlich und ein für alle Mal für sich selbst in Anspruch genommen: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.» (Joh. 14, 6) Nur wer Christ ist, kann demnach in der Wahrheit sein (3. Joh. 4; 2. Petr. 2, 2), und wer diese Wahrheit nicht anerkennt, ist ein «Feind des Kreuzes Christi» (Phil. 3, 18); er verwandelt « Gottes Wahrheit in Lüge » (Röm. 1, 25; vgl. auch 1. Petr. 5, 8 und Mat. 12, 30). Seine intolerante Grundhaltung ist umso erstaunlicher, als das Christentum in einer politisch, gesellschaftlich und rechtlich toleranten Umwelt entstand. Im Römischen Reich wurden alle Kulte zugelassen, die nicht gegen die staatliche Ordnung verstießen. Das Christentum aber war nicht nur gegenüber Juden und «Heiden », sondern auch gegenüber dem römischen Kaiserkult intolerant. Nachdem es durch Konstantin den Großen anerkannt worden war, machte es sich daran, die heidnischen Religionen im Reich zu beseitigen, ihre Einrichtungen zu vernichten, ihre Tempel und Überlieferungen zu zerstören. Im 7. Jahrhundert stießen der kämpferische Islam und das intolerante Christentum aufeinander. Die Muslime verstanden sich als die eigentlichen Erben der alttestamentlichen und auch der neutestamentlichen Offenbarung. Die Christen hingegen bezeichneten den Islam als Religion des « falschen Propheten », ja des « Antichrist ». Bei der Reconquista (Wiedereroberung der iberischen Halbinsel durch die Spanier) und während der Kreuzzüge lieferten sich die beiden Religionen im Mittelmeerraum, in Palästina und in Nordafrika blutige Kämpfe. Die katholische Mission sorgte in Mittel und Südamerika für die Ausrottung indianischer Kulte und gab dem Mord der Eroberer an Millionen von Einheimischen die religiöse Weihe. In den Auseinandersetzungen von Reformation und Gegenreformation bekämpften sich Protestanten und Katholiken mit dem gleichen Ingrimm wie die Christen die Türken. Die Inquisitionstruppen töteten Katharer, Albigenser und Waldenser (Ketzer), und die protestantischen Landeskirchen verfolgten ihre eigenen Abweichler mit der gleichen Unerbittlichkeit wie die Katholiken ihre Häretiker. Nachdem sich das Christentum in Konfessionen aufgespaltet hatte, versuchte jede von ihnen die Macht des Staates zur Ausbreitung des eigenen Einflussbereiches zu gewinnen. Jede Konfessionskirche nahm dabei für sich die ausschließliche Wahrheit in Anspruch und wollte diese selbst mit politischer und militärischer Macht gegen die anderen Konfessionen durchsetzen. In den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts verteufelten und vernichteten sich Protestanten und Katholiken gegenseitig. Im Jahr 1572 wurde in einer einzigen Nacht (« Bartholomäusnacht ») nahezu die ganze protestantische Führungsschicht Frankreichs ausgerottet. (Hugenotten) Martin Luther (1483 1546) verlangte, dass seine Anhänger geduldet wurden, rief aber gleichzeitig zur Verfolgung von Ketzern, « Sakramentierern » (den Anhängern Zwinglis, 1484 1531) und Wiedertäufern auf. Johannes Calvin (15091564) hielt Häresie für « Seelenmord » und ließ Michael Servet 1553 allein deshalb hinrichten, weil er die Trinitätslehre kritisiert hatte. Toleranz war freilich auch nicht Sache der revolutionären Gruppen der Reformationszeit, die, wie die Anhänger Thomas Müntzers (gest. 1525), das Reich Gottes durch die Herrschaft der « Auserwählten » über die « Gottlosen » herbeizwingen wollten. Die frühesten religiösen Verfechter von Toleranz waren die, die am meisten unter der grausamen Unduldsamkeit der Angehörigen anderer religiöser Anschauungen zu leiden hatten: Täufer und Spiritualisten der Reformationszeit, denen Katholiken wie Protestanten gleichermaßen heftig zusetzten. Sie wiesen hin auf den zentralen Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis des Christentums als Religion der Liebe und seiner Praxis blutiger Verfolgungen Andersgläubiger. Der Augsburger Religionsfriede 1555 ermöglichte Katholiken und Protestanten, in getrennten Territorien nebeneinander zu leben, wobei der Landesherr das Bekenntnis seiner Untertanen bestimmte («Cuius regio eius religio») und derjenige, der sich nicht fügen wollte, immerhin auswandern konnte. |
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