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Verrat unter Freunden - Wie die NSA, Amerikas größter und verschwiegenster Geheimdienst, deutsche Firmen ausspioniert

 
       
  Die Spionin kam aus der Kälte. "An der Außenwand des Turms kletterte ich auf einer schmalen Leiter 42 Meter hoch", beschreibt Ruth Heffernan ihren waghalsigen Spionageeinsatz bei null Grad und eisigem Wind auf einem Acker in der Nähe des ostfriesischen Städtchens Aurich. Bei Wind und Wetter hatte sie an jenem Märztag 1994 ihr Leben riskiert, um in die modernste Windkraftanlage der Welt einzudringen.
Das Objekt ihrer Neugierde hieß schlicht: E40. Der ostfriesischen Enercon GmbH war es gelungen, mit der E­40 eine Windmühle zu präsentieren, die der Konkurrenz technisch um Jahre voraus war. Die Anlage wurde zum Verkaufsschlager: Bis heute haben die Auricher weltweit über 1650 Stück davon verkauft.
1994 wollte Enercon auch auf dem US­Markt Fuß fassen. Die Firma verhandelte mit zwei amerikanischen Interessenten, die ihre Windparks in Texas mit der E­40 bestücken wollten. Doch statt eines Millionenauftrags bekam die Enercon­Geschäftsleitung Anfang 1995 zwei unangenehme Briefe zugestellt ­einen vom Distriktgericht im kalifornischen San José, den anderen von der Verwaltungsbehörde des US­Handelsministeriums in Washington, D. C. In beiden wurde das ostfriesische Unternehmen einer Patentverletzung bezichtigt.
Hinter den Verfahren, so stellte sich heraus, steckte die amerikanische Konkurrenz: Kenetech Windpower Inc. Mit den Verfahren wollte das Unternehmen aus dem kalifornischen Livermore sich die Wettbewerber vom Leibe halten. Enercon­Geschäftsführer Aloys Wobben wurde vorgeladen und zwei Wochen lang in Washington vernommen. Dann bekamen Wobben und seine amerikanischen Anwälte ­möglicherweise aus Versehen ­das Beweismaterial der Gegenseite zu Gesicht. Neben einer Vielzahl von Fotos, die das komplette Innenleben der E­40 zeigten, befand sich auch der achtseitige Spitzelbericht von Ruth Heffernan. Darin schildert sie detailliert, wie sie zusammen mit ihrem holländischen Kenetech­Kollegen Robert "Bob" Jans und dem Oldenburger Ubbo de Witt die Enercon­Anlage ausspionierte: "Verließ Groningen am frühen Montag, 21. 3. 94, mit Bob Jans. Fuhren nach Oldenburg, holten Ubbo ab, einen Physiker und Meterologen, der für uns als freier Mitarbeiter tätig ist. Er hatte Kontakt zu dem Bauern, der eine Enercon­40 besitzt und im Einsatz hat."
Das Spionagetrio ging in die Bodenstation, setzte das Sicherheitssystem außer Kraft und rief, nachdem ein Code eingegeben wurde, Displays ab. Dann stellten sie die Maschine ab. Die 40 Meter großen Rotorblätter kamen zum Stehen. Jetzt erst wagten die drei den Aufstieg zur Kabine an der Spitze des Windrades, dort, wo sich das Herzstück der E­40 befindet. "Wir verbrachten über 60 Minuten da oben, redeten über die Maschine und machten Fotos."
Der Enercon­Geschäftsführer konnte es nicht fassen. Da war der Beweis, dass Spione seine E­40 ausgeforscht hatten. Doch wie hatten Heffernan, Jans und de Witt an jenem Tag die Computercodes geknackt und das Sicherheitssystem lahm gelegt?
Da gab ein WDR­Journalist dem Windkraft­Manager einen Tipp: Ihm hatte ein amerikanischer Geheimdienst­Mitarbeiter offenbart, dass seine Organisation einen großen Lauschangriff auf die Auricher verübt habe. So seien Firmenkonferenzen über die Telefonleitungen abgehört, Sicherheitscodes und geheime Forschungsunterlagen abgefangen und der amerikanischen Konkurrenz von Kenetech zugespielt worden. Den Namen jenes Geheimdienstes, der per Telefonleitung in seine Firma eingebrochen sein soll, hatte Wobben noch nie gehört: National Security Agency (NSA).
Stop­and­go auf dem Baltimore­Washington­Parkway in der US­Bundeshauptstadt. Zwischen acht Uhr und neun Uhr ist Rush­Hour. "Da vorne müssen wir links rein", sagt der Fahrer, wechselt ruckartig die Spur, biegt am Schild mit der Aufschrift "National Security Agency" ab und fährt vorbei an einem Parkplatz, der so groß und so voll ist wie der des Münchner Olympiastadions beim Heimspiel des FC Bayern. Die Zahl der Autos ist der einzige Weg, eine Vorstellung von der Größe des größten und geheimsten der amerikanischen Geheimdienste zu erhalten. Rund 20 000 Fahrzeuge hat man auf dem Parkplatz gezählt. In Wirklichkeit dürfte die Zahl der Mitarbeiter weit höher liegen ­allein im Bundesstaat Maryland soll die NSA 40 000 Beschäftigte haben. Rund um den Globus kommen noch etliche tausend hinzu. Die Mehrheit der Amerikaner konnte jahrzehntelang mit dem Kürzel NSA nichts anfangen. Lange Zeit wurde es mit "No Such Agency" übersetzt ­ironisch für die überaus erfolgreiche Geheimhaltung des riesigen Apparates 30 Kilometer vor Washington.
Die NSA ist eine Art riesiger Staubsauger, der alle elektronische Kommunikation aufsaugt: Telefongespräche, Faxe, E­Mails. Beinahe das, was Kinder sich unter dem lieben Gott vorstellen: Einer sitzt über den Wolken und hört jedes Wort. Wenn Zeilen aus geheimen diplomatischen Gesprächen bekannt werden, wenn die USA detailgenaue Satellitenaufnahmen von Massengräbern in Bosnien zeigen oder die Vereinten Nationen Beweise für Giftgaslager im Irak sammeln ­Zuträger der Informationen ist fast immer die NSA. Geheimdienst­Experten schätzen, dass die CIA nur mehr fünf Prozent aller Erkenntnisse beschafft. 95 Prozent liefere die NSA.
Eine Spezialität der NSA ist nach Ansicht deutscher Experten die Wirtschaftsspionage. Amerikanische Firmen benutzten den Geheimdienst, um sich unliebsamer ausländischer Konkurrenz zu erwehren. Aus offenem Wettbewerb sei längst ein Wirtschaftskrieg geworden. Doch schuld sind nach amerikanischer Lesart vor allem die anderen. CIA und NSA haben ein Image aufgebaut, wonach nicht die NSA die Hoheitsrechte anderer, freundlich gesinnter Staaten verletzt, sondern lediglich die eigene Wirtschaft schützt. Die Clinton­Administration hat Industriespionage zur nationalen Bedrohung erklärt und bereits im Juni 1995 in einem als "geheim" klassifizierten Bericht an den Kongress behauptet, dass Frankreich, Israel und Japan amerikanische Unternehmen ausspionierten. Auch Deutschland, England und Kanada seien aktiv: "Diese Länder haben wirtschaftliche und technische Informationen in den USA im Visier, obwohl sie mit den USA freundschaftliche Beziehungen pflegen."
Die Kunde vom Wirtschaftskrieg unter Freunden ist längst auch nach Deutschland gedrungen, wo Wirtschaftsspionage einen Schaden von schätzungsweise 20 Milliarden Mark jährlich anrichtet. Bereits 1991 schrieb der Bundesnachrichtendienst in einer vertraulichen Analyse: "Die amerikanischen Nachrichtendienste sollen verstärkt Wirtschaftsspionage betreiben und so zur wirtschaftlichen Sicherheit der USA beitragen." Während die Deutschen so etwas offiziell nicht tun (es gibt dazu keinen Auftrag des Parlaments), hat Clinton seinen Geheimdiensten ein größeres Engagement bei der Beschaffung von Wirtschaftsdaten verordnet.
Beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln pflegt die Spionageabwehr ­zumindest offiziell ­noch das alte Feindbild: Die Agenten kommen aus dem Osten. Das Ausspionieren deutscher Unternehmen durch "befreundete" Dienste wie die NSA ist für die Verfassungsschützer ein Tabuthema. Auch Ernst Uhrlau, seit November 1998 Geheimdienst­Koordinator im Kanzleramt, will nicht an eine gezielte Spähaktion glauben. "Ich bin der festen Überzeugung, dass die USA in Deutschland keine Wirtschaftsspionage betreiben", sagte er der ZEIT. Auf die Raubzüge amerikanischer Agenten im Bereich der so genannten "ökonomischen Aufklärung" reagieren die Verfassungsschützer bislang mit Appellen an die deutsche Wirtschaft, "mehr Problembewusstsein" zu entwickeln. Nur hinter vorgehaltener Hand fordern die Chefs einiger Landesämter für Verfassungsschutz, die "Abwehrarbeit neu zu strukturieren". Es dürfe "keine Verengung des Blickfeldes nach Osten geben".
Stuttgart, Ende Juni 1999. Im Haus der Wirtschaft sitzen hinter verschlossenen Türen Geheimdienstler und Sicherheitschefs deutscher Unternehmen. Das Thema: Spionageabwehr. Die Verfassungsschützer aus Baden­Württemberg, Gastgeber des Symposiums, reden Klartext. Nicht nur Russen, Chinesen oder Iraner seien die Gegner, verkündet Harald Woll, Leiter der baden­württembergischen Spionageabwehr. Beim Thema Wirtschaftsspionage seien auch die Geheimdienste befreundeter Staaten zu beachten. Allen voran die NSA.
Im zwanglosen Gespräch zwischen Schlapphüten und Sicherheitsmanagern fällt immer wieder ein Name: NSA. Nahezu hinter jedem Spionageskandal der vergangenen Jahre stecke der Geheimdienst, heißt es bei Pils und belegten Brötchen. Beispielsweise im Fall López, der zum Krieg zwischen zwei Autokonzernen eskalierte. General Motors hatte den Manager beschuldigt, er habe bei seinem Weggang zu VW geheime Unterlagen mitgenommen. Bei der Beweisführung war dem amerikanischen Konzern offenbar ein Lauschangriff behilflich. Die NSA, erzählt ein Geheimdienstler, habe Videokonferenzen von VW mit López abgehört und den Inhalt der Gespräche General Motors zugespielt.
Genüsslich zitiert ein anderer Geheimdienstler in der Runde den San Francisco Chronicle. Danach hat der europäische Flugzeugriese Airbus 1994 nur deshalb einen Sechs­Milliarden­Mark­Auftrag aus Saudi­Arabien nicht bekommen, weil der amerikanische Erzkonkurrent Schützenhilfe von der NSA bekam. Der Geheimdienst­Gigant soll alle Faxe und Telefonate zwischen Airbus und den Saudis aus dem Äther gefischt und an Boeing weitergegeben haben. Somit war es für die Flugzeugbauer aus Seattle ein Leichtes, den Saudis ein günstigeres Angebot zu unterbreiten.
Fast schon legendär der Fall, den ein anderer zum Besten gibt: 1995, bei den Genfer Verhandlungen über Autoexporte von den USA nach Japan, soll die Hotelsuite der japanischen Handelsdelegation abgehört worden sein. Jeden Morgen habe der US­Verhandlungsführer quasi zum Frühstück die nächtlichen Beratungsergebnisse der japanischen Seite serviert bekommen. Die betroffenen Unternehmen selbst wollten sich zu den Vorfällen nicht mehr äußern.
Alle genannten Fälle haben eins gemein: Es gibt nur Indizien für NSA­Aktivitäten, stets fehlt der letzte Beweis. So auch im Fall Enercon, der beim Geheimdienstler­Symposium heiß diskutiert wurde. "Das Problem ist, dass wir es mit technischer Spionage zu tun haben", klagt Helmut Rannacher, Präsident des baden­württembergischen Verfassungsschutzes. "Diese Art der Spionage ist lautlos, wir haben keine festgenommenen Personen, wir haben im Zweifel nur entsprechende Folgen. Der faktische Nachweis der Spionage kann kaum geführt werden."
Aber wie kommen die Informationen der NSA zu den amerikanischen Firmen? Den Informationsfluss regele das US­Wirtschaftsministerium, das Erkenntnisse der CIA und der NSA an die Unternehmen weiterleite, weiß einer aus der Stuttgarter Runde zu berichten. Dafür gebe es im Ministerium eigens ein Verbindungsbüro, Zimmer 6854: Office of Intelligence Liaison.
Offiziell bestreitet die NSA, der amerikanischen Wirtschaft zuzuarbeiten. Fest steht jedoch, dass Unternehmen und Geheimdienst seit Anfang der neunziger Jahre immer näher zueinander fanden. Nach dem Ende des Kalten Krieges musste die NSA ihren Vier­Milliarden­Dollar­Etat kürzen. Viele ehemalige Geheimdienstler fanden besser bezahlte Jobs in der Wirtschaft ­auf ihre Expertise kann sich die NSA heute genauso verlassen, wie es die Unternehmen ihrerseits auf die Hilfe des Geheimdienstes können. Selbst jene, die vor aktiver Wirtschaftsspionage warnen, sind sich einig, dass man "zufällig" abgehörte Informationen ruhig an die einheimische Industrie weitergeben könne. In der Praxis wird allerdings nicht allzu viel dem Zufall überlassen. Zusammen mit Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien haben die USA seit Ende der vierziger Jahre ein Abhörsystem aufgebaut, mit dem sie die ganze Welt belauschen können: Echelon.
Die Landstrasse L 11 teilt Mietraching, Ortsteil des Kurstädtchens Bad Aibling, in zwei Welten. Auf der einen Seite oberbayerisches Einfamilienhaus­Idyll, auf der anderen Seite ein Stück Amerika: "Militärisches Sperrgebiet. Bereich der amerikanischen Streitkräfte. Fotografieren, Anfertigen von Notizen oder gar Zeichnungen verboten!" Das Schattenreich wird überragt von bis zu 20 Meter hohen, geriffelten Alukuppeln, die wie riesige Golfbälle in der Talebene liegen. Dahinter verbergen sich Parabolspiegel der NSA. Sie sind längst nicht mehr nur nach Osten gerichtet. Von Bad Aibling aus hört die NSA auch westeuropäische Konzerne ab. Dabei verwendet sie das Abhör­und Auswertungssystem Echelon,zu Deutsch: Staffelung. Die Anlage ist nach dem englischen Menwith Hill der größte NSA­Horchposten außerhalb der USA. Einem EU­Bericht zufolge ist Echelon bereits seit mehr als 20 Jahren in Betrieb. Mit diesem angeblich weltweit größten elektronischen Überwachungssystem kann der amerikanische Nachrichtendienst quasi jedes Telefongespräch, jede E­Mail und jedes Fax auf der Welt abfangen und auswerten; "die größtmögliche Invasion in die Privatsphäre", so der Kanadier Mike Frost. Er hat jahrelang beim Aufbau und Betrieb des Abhörsystems mitgearbeitet.
Echelon besteht aus etwa 120 über den Erdball verteilten Stationen, die rund um die Uhr Telekommunikationssatelliten und Mobilfunksender abhören sowie Untersee­Telefonkabel und Mailserver anzapfen. Alles in allem, schätzt der ehemalige NSA­Direktor William Studeman, würden in einer halben Stunde wohl rund eine Million Nachrichten mitgeschnitten. Interessant sei davon im Schnitt nur eine einzige.
Die so gewonnenen Informationen werden mithilfe des Künstliche­Intelligenz­Systems Memex anhand von Schlüsselbegriffen durchsucht und ausgewertet. Sobald ein NSA­Mitarbeiter das entsprechende Stichwort eingegeben hat, werden alle damit in Zusammenhang stehenden Telefongespräche, Faxe und E­Mails registriert und nach Wichtigkeit sortiert.
Im Sommer 1984 machte der neuseeländische Friedensaktivist Nicky Hager mit ein paar Freunden eine kleine Exkursion nach Tangimoana nördlich von Wellington, um eine neu entdeckte Abhörstation des neuseeländischen Geheimdienstes zu besichtigen. "Als niemand kam und uns wegschickte", erinnert sich Hager, "sahen wir uns um und notierten, was wir sahen." Zwölf Jahre lang hat Nicky Hager danach recherchiert. Er sprach mit 50 neuseeländischen Geheimdienstlern, wälzte staatliche Verzeichnisse, um anhand von Kfz­Kennzeichen und Mitarbeiterlisten des Verteidigungsministeriums die weltweiten Einsätze der Spione zu verfolgen. 1996 legte er sein Buch Secret Power vor, die bis dato umfassendste Analyse des Abhörsystems Echelon.
Offiziell diente der Horchposten auf Neuseeland nur der militärischen Spionage. Hager fand jedoch heraus, dass auch private und geschäftliche Kommunikation gezielt abgehört wird. Als er sich eines Abends mit einer Kamera auf die Militärbasis Waihopai schlich, stellte er verwundert fest, dass die Anlage ­bis auf einen Wachposten ­völlig verlassen war. "Den stärksten Eindruck hat die Operationszentrale auf mich gemacht", erinnert sich Hager. Die Fenster waren vergittert, die Computer summten alleine vor sich hin. Überall Rechner und blinkende Lichter ­Tausende Menschen wurden dort vollautomatisch abgehört.
In der Kontrollzentrale hingen fünf Listen mit Stichworten, nach denen gesucht wurde. Eine solche Liste, schreibt Hager, gleiche einem Wörterbuch: Aufgelistet sind ein Name, ein Wort, eine Zahl, und wann immer das Suchwort in einem Gespräch auftaucht, wird dieses automatisch aufgezeichnet und ­je nach Dringlichkeit ­sofort zur Auswertung in die zuständige NSA­Abteilung geleitet. Die neuseeländischen Behörden, immerhin Betreiber der Anlage, hatten keine Ahnung, welche Gespräche die USA abfingen, denn der Mitschnitt wanderte direkt in die NSA­Zentrale nach Fort Meade in Maryland.
Offiziell allerdings gibt es Echelon gar nicht ­wie es auch offiziell keine Wirtschaftsspionage zwischen befreundeten Staaten gibt. Entsprechend groß war die Aufregung, als Anfang des Jahres eine Forschungsgruppe des Europäischen Parlaments, die Scientific and Technological Options Assessment (STOA), in einem Arbeitspapier darauf hinwies, dass Echelon vorrangig der Überwachung nichtmilitärischer Ziele dient ­dem Abhören von Regierungen, Organisationen und Firmen.
Die NSA verweigert jede Stellungnahme. Sie will nicht einmal bestätigen, dass sie die Abhöranlagen überhaupt betreibt. Der amerikanische Geheimdienst­Mitarbeiter Dan Smith, bis 1993 als Militärattaché an der Londoner Botschaft, betonte gegenüber der BBC, die NSA spioniere nicht im Auftrag einzelner US­Unternehmen. Er gab allerdings zu, die Ziele seien so breit ausgewählt, dass man "unvermeidlich" auch Kommunikation aufzeichne, die militärisch nicht relevant sei. Die offizielle Linie lautet also: Wirtschaftsspionage ist nicht Hauptaufgabe der NSA, sondern nur ein Zufallsprodukt.
In Brüssel und Bonn haben sich die Politiker auf den bequemen Standpunkt verlegt, erst dann gegen die "Spionage unter Freunden" zu protestieren, wenn NSA und US­Regierung sich der Öffentlichkeit offenbaren.
Als am 14. September 1998 im Europäischen Parlament über Echelon gesprochen wurde, verschanzte sich Martin Bangemann, damals noch EU­Kommissar, hinter einer wolkigen Erklärung: "Ich bin nicht der Meinung, dass diese Affäre Echelon, wenn es denn eine sein sollte, unsere gesamte Debatte über die Beziehungen zu den USA einnehmen sollte." Die EU solle sich nicht mit Problemen befassen, "die wahrscheinlich nicht die größten der Weltgemeinschaft sind". Die EU­Parlamentarier verstiegen sich zur grotesken Forderung, man brauche erst noch einen weiteren Bericht ­einen, in dem die NSA selbst ihre Abhörmöglichkeiten aufdecke.
Auch in Deutschland hat die Politiker offenbar der Mut verlassen. 1997 forderte die SPD­Bundestagsfraktion in einem Papier, "multi­oder bilaterale Abkommen, um den Einsatz von Geheimdiensten für die Industriespionage auszuschließen". Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD­Fraktion, scheint es heute peinlich zu sein, zu den Unterzeichnern des Papiers zu gehören: "Unsere Anfrage damals war etwas naiv."
Ein anderer Unterzeichner, Fritz Rudolf Körper (SPD), mittlerweile zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium aufgestiegen, beruhigte kürzlich seine Fraktionskollegin Angelika Graf. Die hatte besorgt bei Otto Schily angefragt, was an dem Gerücht dran sei, dass die USA von Bad Aibling aus, das in ihrem Wahlkreis liegt, die deutsche Wirtschaft ausspionierten. Nein, es gebe keinerlei Hinweise für Spionageaktivitäten der USA in Deutschland, antwortete Körper. Erleichtert konnte Angelika Graf ihrem Wahlkreis mitteilen: "Der US­Stützpunkt Bad Aibling trägt in nicht unerheblichem Maße zur Wirtschaftskraft der Stadt bei. Dies sollte man bedenken, wenn man derartige Anschuldigungen in die Welt setzt."
Gerhard Schmid, Europa­Parlamentarier der SPD, der im vorigen Job noch empört gefordert hatte, die Bundesregierung, damals noch CDU­geführt, müsse dringend etwas gegen die zunehmende Wirtschaftsspionage unternehmen, sagte nun im Telefoninterview, dass es nur ein einziges Mittel gegen das Abhören gebe: alle wichtigen Nachrichten verschlüsseln. "Und für Gebote oder wichtige Verhandlungen müssen sich Manager eben ins Flugzeug setzen. Das ist dann eben einer der Fälle, wo es sich wirklich lohnt, persönlich zu einem Termin zu fliegen."
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen Ubbo de Witt, der beschuldigt wird, im März 1994 Enercon ausspioniert zu haben. Viel zu befürchten hat de Witt nicht. Staatsanwalt Schäfers ermittelt nicht wegen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit, sondern nur wegen Verdachts auf Industriespionage. Somit könnte de Witt auch nur wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb haftbar gemacht werden. Dass ein fremder Geheimdienst die Finger im Spiel hatte, kann Schäfers sich nicht vorstellen. "Gibt es diese NSA überhaupt?", fragt er vorsichtig.
Enercon hat sich gegen weitere Lauschangriffe gewappnet. Kilometerweise ließ das Unternehmen eigene Telefonstrippen durch Aurich verlegen. Jetzt sind die Enercon­Mitarbeiter zumindest bei der internen Kommunikation nicht mehr auf das öffentliche Telefonnetz angewiesen. Vertrauliche Informationen an Geschäftspartner und Kunden werden nicht mehr per Telefon, Fax oder E­Mail ausgetauscht, sondern nur noch persönlich, notfalls über Kurierdienste oder den Postweg.
Der amerikanischen Konkurrenzfirma Kenetech, die sich gegen Enercon nur mit Spionage zu wehren wusste, konnte letztlich nicht einmal die NSA helfen. Das Unternehmen musste Konkurs anmelden, die Projekt­und Patentrechte erwarb eine Tochterfirma des in Dallas ansässigen Erdgasmultis Enron.
Einen Tag, nachdem Kenetech das Konkursverfahren einleiten musste, wurde in Washington das Urteil im Patentschutzverfahren gegen Enercon verkündet: Wegen der Gefahr einer Patentverletzung verhängten die Richter ein generelles Importverbot für Enercon, gültig bis zum Jahr 2010. Bis heute hat die Firma durch die Spionage Umsatzverluste von 100 Millionen Mark erlitten. Und die 300 geplanten zusätzlichen Arbeitsplätze sind auch nicht entstanden.
 
 

 

 

 
 
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