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Theologie der Befreiung Die Theologien der Dritten Welt in Afrika, Asien und Lateinamerika wollen ohne Beeinflussung durch die europäischen und nordamerikanischen Kirchen ein eigenständiges theologisches Denken artikulieren, indem sie « die christliche Botschaft » in den jeweiligen kulturellen, religiösen und sozioökonomischen Kontext ihrer Kontinente stellen und « vom Evangelium her » einen Beitrag zur Befreiung der Armen aus Abhängigkeit, Ausbeutung und Ungerechtigkeit leisten. Für die « asiatische Theologie » - in Asien stellt das Christentum lediglich eine Minderheit von etwa 2,6 Prozent der Bevölkerung - ist der Versuch charakteristisch, Religiosität und « Spiritualität » miteinander zu verknüpfen, der Meditation einen gebührenden Platz einzuräumen und aus dem Dialog mit den lebenden Religionen (Buddhismus, Hinduismus, Islam, Chinesische Religionen) den Horizont des Christentums zu erweitern. Die « afrikanische Theologie» überdenkt die eigenen Glaubenserfahrungen nicht nur vor dem Hintergrund der Bibel, sondern auch im Zusammenhang der einheimischen afrikanischen Kulturen. Dabei drückt sich das Besondere des afrikanisierten Christentums nicht so sehr im geschriebenen Wort als vielmehr in der Musik, im Drama, im Tanz aus. Die eigenen Traditionen, Bräuche, Gottesvorstellungen und Ahnenverehrung sowie überlieferte Auffassungen von Ehe, Familie und Zusammenleben werden im Vergleich und im Kontrast zum europäischen Christentum neu gewertet. Eine Sonderform afrikanischer Theologie ist die « Schwarze Theologie ». Ihr zentrales Thema ist der Rassismus, und ihr Kampf gilt der Diskriminierung bestimmter Gruppen von Menschen aufgrund völkischer und nationaler Herkunft, vor allem aber aufgrund ihrer Hautfarbe (Benachteiligung und Diskriminierung von Farbigen durch Weiße zum Beispiel in der Südafrikanischen Republik und auch in den Vereinigten Staaten von Amerika). Von den Theologien der Dritten Welt hat die lateinamerikanische «Theologie der Befreiung » bisher am nachhaltigsten gewirkt und am meisten von sich reden gemacht. Sie wird vor allem von « Basisgemeinden » und Gruppen wie « Christen für den Sozialismus » getragen. (Soziales Christentum) Ihr Thema ist der Nachweis, dass Armut, Ausbeutung und Abhängigkeit in den Ländern der Dritten Welt zusammenhängen; deshalb müsse der traditionelle christliche Begriff der « Erlösung » heute mit dem Wort « Befreiung » übersetzt werden. Die Entstehung der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung ist in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu datieren. Damals erkannte man, dass die Unterentwicklung der technologisch rückständigen und rohstoffreichen Länder eine Folge der kapitalistischen Entwicklung ist: Die armen Länder hinken den reichen nicht hinterher, sie werden vielmehr unterentwickelt gehalten. Somit ist die Entwicklung der Reichen die Kehrseite der Unterentwicklung der Armen. Abhängigkeit bedeutet für die Armen wirtschaftliche, politische und kulturelle Unterdrückung. Aus dieser Sicht erscheint es notwendig, eine Strategie der Befreiung mit der Möglichkeit einer selbst gewollten und selbst verantworteten Entwicklung zu entwerfen. In Bibelkreisen und kirchlichen Basisgemeinden begannen zahlreiche Christen, die Frage nach der Konsequenz ihres Glaubens für das politische Leben zu stellen. Die soziale und politische Ungerechtigkeit bezeichneten sie als « Sünde », die bestehenden Strukturen der Ausbeutung als widergöttlich. Nachdem die Kirche viele Jahrhunderte lang auf der Seite der Machthaber und Reichen gestanden und sich bestenfalls als « Kirche für die Armen» verstanden hatte, sollte sie jetzt zu einer Kirche «von Armen und mit den Armen» werden und sich für soziale und politische Veränderungen und ein gerechteres Zusammenleben engagieren. Die Theologie der Befreiung versteht sich selbst als Herausforderung für die konventionelle Theologie der europäischen und nordamerikanischen Kirchen, die die theologische « Befreiungsmethode » auch auf ihre eigene Situation anwenden sollten. In Europa wurde die Theologie der Befreiung als theologische Theorie rasch bekannt. Viele stimmten ihr begeistert zu, andere sprachen ihr alle Berechtigung ab: Die Priester « in den armseligen Hüttensiedlungen von Rio und Lima» sollten statt von Befreiung besser über die «religiösen Geheimnisse des Evangeliums » predigen. |
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