Volltextsuche:        
   A   B   C   D   E   F   G   H   I   J   K   L   M   N   O   P   Q   R   S   T   U   V   W   X   Y   Z   #   

 

   

Wolfskinder

 
       
  Romulus und Remus, die Gründer Roms, wurden der Legende zufolge von einer Wölfin gesäugt und großgezogen. Kinder, die von Tieren großgezogen wurden, gibt es jedoch nicht nur in Legenden. Der französische Anthropologe Lucien Malson hat in seinem Buch »Die wilden Kinder« 53 Fälle geschildert, die sich seit 1344 in verschiedenen Ländern ereigneten. Malson berichtete nur über authentische Fälle, die meisten von ihnen Kinder, die mit Wölfen lebten. Die Wolfskinder laufen auf allen vieren, nehmen nur rohe Nahrung zu sich und haben ein stark entwickeltes Gebiss.
Nach dem Erscheinen des Buches wurden vier weitere Fälle bekannt: zwei Gazellenjungen in Nordafrika, ein etwa siebenjähriger Affenjunge in Burundi und ein weiterer Affenjunge in Sri Lanka. Einmal in der Geschichte von Menschen, die von Tieren aufgezogen wurden, gab es eine Chance, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Im Jahr 1920 hörte Reverend J. A. L. Singh während einer Missionsreise im indischen Midnapore von zwei »Manush baghas«, kleinen geisterhaften Lebewesen mit glühenden Augen, weder Mensch noch Tier. Sie kamen in Begleitung einer Wölfin aus den Wäldern und belästigten die Dorfbewohner. Singh legte sich auf die Lauer, stellte fest, dass es Menschenkinder waren und beschloss, mit den Eingeborenen das Lager der Wölfe, einen verlassenen Termitenhügel, auszuheben.
Als die Eingeborenen zu graben begannen, flüchteten zwei Wölfe aus dem Lager. Aber die Wölfin stellte sich den Menschen, knurrte und stampfte mit den Vorderpfoten auf die Erde. Bevor der Reverend es verhindern konnte, hatten die verängstigten Eingeborenen die Wölfin mit Pfeilen getötet. Als der Ameisenhügel geöffnet wurde, fand man darin die Kinder und zwei junge Wölfe eng aneinander geschmiegt. Die Kinder, die knurrten und bissen, wurden in ein Waisenhaus gebracht. Das jüngere Kind starb innerhalb eines Jahres. Es aß nur rohes Fleisch, heulte in der Nacht und lief blitzschnell davon, wenn sich ein Mensch näherte. Das ältere Kind lebte noch acht Jahre. In dieser Zeit lernte es, aufrecht zu gehen, mit den Händen zu essen und etwa dreißig Wörter Englisch zu sprechen. Singhs Vorgehen wurde in aller Welt kritisiert. Wenn die Wölfin lebendig gefangen worden wäre, hätte die Anthropologie einen großen Schritt nach vorn getan.
Wie anpassungsfähig Menschen sein können, zeigt das Beispiel des Gazellenjungen aus der Sahara. Der Forscher Jean Claude Armen, der den Jungen fand, beschrieb ihn als »sehr lebendig, dunkel, mit mandelförmigen Augen und einem netten, offenen Ausdruck, nicht verdrossen wie die Kinder, die bei Fleisch fressenden Tieren aufgewachsen sind. Er war etwa zehn Jahre alt. Seine Gelenke waren übermäßig entwickelt.« Der Junge rannte geschmeidig auf allen vieren mit der Herde, aß Gras und Blätter. Nach geduldigen Beobachtungen kam die Leitgazelle auf Armen zu und beschnupperte ihn. Der Gazellenjunge kam hinzu und schnüffelte an den Zehen. Er verhielt sich genau wie die Gazellen, er hüpfte und sprang herum und spitzte die Ohren, wenn ein außergewöhnlicher Laut zu hören war. Armen gewann das Vertrauen des Gazellenkindes und stellte bei der Überprüfung der Zähne fest, dass sein Gebiss so gleichmäßig war, wie bei Pflanzen fressenden Tieren. Alle bekannt gewordenen Fälle von Kindern, die von Tieren aufgezogen wurden, sind nach Ansicht Armens nur die Spitze eines Eisberges. Nach seiner Ansicht gibt es hunderte von ihnen in den Wäldern und Savannen.
Die Gefundenen sterben früh, lernen lediglich ein paar Brocken zu sprechen und können über ihr Schicksal keine Auskunft geben. Gemeinsam ist ihnen die Unempfindlichkeit gegen Hitze oder Kälte und dass sie tierische Laute von sich geben, mit denen sie sich in der Gruppe von Tieren, die sie aufgenommen hatten, verständlich machen konnten. Ihre Herkunft ist nie bekannt geworden. Wahrscheinlich handelt es sich um ausgesetzte und (in ganz wenigen Fällen) geraubte Kinder.
 
 

 

 

 
 
Diese Seite als Bookmark speichern :
 
 

 

 

 
 
<< vorhergehender Begriff
 
nächster Begriff >>
Wolfsjunge
 
Wolke des Nichtwissens
 
     

 

Weitere Begriffe : Re | Low-Scorer | Religionskritik
 
Lexikon Esoterik |  Impressum |  Rechtliche Hinweise |  Datenschutzbestimmungen |  Lexikon Religion
Copyright © 2010 Lexikon der Esoterik & Religion. All rights reserved.