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Hakim Bey ist der einzige Autor im heutigen Amerika, der noch esoterischer ist als Thomas Pynchon. Er weigert sich nicht nur, sich fotografieren zu lassen, er erzählt auch ein paar Geschichten über sein früheres Leben, in denen er manchmal behauptet, der Hofdichter eines ungenannten indischen Fürsten gewesen zu sein, manchmal auch der Bibliothekar des Schahs von Persien. Als das »Time Magazin« versuchte, ihn zu interviewen, verbreitete er das Gerücht, ein schiitischer Terrorist zu sein, und tauchte unter; als »High Times« dasselbe versuchte, bekamen sie keine Antwort von seinem Verleger, aber der Interviewer fand einen Zettel auf seinem Bett, auf dem stand, er solle um 21 Uhr zur Mott Street kommen. Dort nahmen ihn drei Männer in Schwarz (Men In Black) in Empfang und brachten ihn in einen Keller in Chinatown. Hier erwartete ihn Hakim Bey oder jemand, der sich für ihn ausgab. Bey, dessen Stil die wüstesten Elemente von Autoren wie Ambrose Bierce, H. L. Mencken, André Breton und Nietzsche vereint, ist der Ursprung von Dutzenden phantastischer, wunderbarer und seltsamer Vorstellungen. Zu seinen Schlüsselkonzepten gehören ontologische Anarchie, poetischer Terrorismus, die vorübergehend autonome Zone und das Millennium. Ontologische Anarchie vereint Elemente des traditionellen Anarchismus (siehe: Regierung als kriminelle Verschwörung) mit Diskordianismus, mathematischer Chaostheorie, Surrealismus, der maurisch-orthodoxen Wissenschaft des Noble Drew Ali und Teilen verschiedener mystischer Traditionen, besonders jene der Sufis und Taoisten. Sie besteht im Grunde aus (a) der immerwährenden Suche der Anarchisten nach der maximalen Freiheit des Individuums und (b) einem Schreibstil von so postmoderner Dichte und nietzscheanischem Zorn, dass er den Leser dauernd zu der Einsicht zwingt, wie wenig Freiheit wir jemals erfahren haben und wieviel blanke Tyrannei wir gegenwärtig erdulden müssen. Poetischer Terrorismus begann als Graffiti-Kampagne, aber Bey definiert ihn mittlerweile als »komische Mischung aus heimlicher Aktion und Lügen (alles, worum es bei Kunst geht)« und vergleicht Straßentheater mit Guerillatheater. »Wenn Sie das, was Sie tun, >street performance< nennen, haben Sie schon einen Riß zwischen Künstler und Publikum ... Wenn Sie aber einen Streich spielen, einen Zwischenfall verursachen, eine Situation schaffen, dann gelingt es möglicherweise, die Leute teilnehmen zu lassen und ihre Freiheit zu maximieren.« Die Temporary Autonomous Zone (abgekürzt TAZ und in der US-Gegenkultur wohlbekannt) entsteht aus der Vorstellung, dass uns die Elite nie wirkliche Freiheit geben wird (siehe: The Con) und die Massen oder Pinks zu hypnotisiert und zu robotisiert sind, um danach zu verlangen. Das Beste, was wir tun können, ist also, eine Vorübergehende Autonome Zone zu finden, sie so lang wie möglich geheimzuhalten und wieder zu verschwinden, sobald der Staat entdeckt, dass es sich irgendjemand irgendwo gutgehen läßt. Kritiker nennen das einen »Club Med für Hippies«, aber die Idee, die dahinter steckt, ist recht radikal. Wie ein Zen-Meister sagte, als man ihn fragte, was Tao ist: »Nicht stehenbleiben!« Das Millennium, wie Bey es sieht, unterscheidet sich ziemlich von anderen Vorstellungen zu diesem Thema. Der Tod des Kommunismus zuerst als Fall der Sowjetunion, dann als das Verwelken einer Idee, die Intellektuelle ernst nehmen bedeutet, dass die Unzufriedenen (Anarchisten, Voodooisten und andere, die ähnliche Vorstellungen wie Bey haben) die einzige Opposition zur gegenwärtigen Geldund-Macht-Elite sind. Ob es uns gefällt oder nicht, die Randgruppen sind in einen apokalyptischen Kampf verwickelt: Entweder werden die Kontrolltechniken der Elite so perfektioniert, dass man abweichende Meinungen abschaffen kann, oder die Ketzer werden zu einer Bewußtseinsebene mutieren, von der aus sie heilige Wunder wirken können, um den alten Traum der Freiheit für alle zu verwirklichen. Das muß nicht unbedingt im Jahr 2001 passieren; Bey meint lediglich, dass wir in einem Jahrtausend-Notfall leben. |
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