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Viele Menschen haben bereits Momente erlebt, in denen sie sich einen Moment lang oder auch für Stunden in ein anderes Jahrhundert versetzt fühlten. Diese Erlebnisse werden oft mit Halluzinationen erklärt. Aber in einigen Fällen scheint diese Verschiebung der Zeit unerklärlich.
So im Fall der beiden englischen Lehrerinnen Anne Moberly und Eleanor Jourdain, die im Jahr 1901 das königliche Schloss in Versailles besuchten. Sie gingen durch die Gärten zum Petit Trianon, dem kleinen Schlößchen von Marie Antoinette. Da sie sich nicht auskannten, baten sie zwei Gärtner, die Gewänder des 18. Jahrhunderts trugen, ihnen den Weg zu zeigen. Die Männer reagierten nicht. Die Lehrerinnen gingen weiter und kamen in ein Waldstück, wo sie auf einen grimmig blickenden Mann stießen, der vor einem temple d’amour saß und vor sich hin starrte. Ein junger Mann trat hinter dem Tempel hervor und kam über einen Rasen voller Unkraut auf sie zu. Er sprach einen französischen Dialekt, den sie nicht verstanden. Mit Gesten und Handzeichen führte er sie über eine hölzerne Brücke, die eine Wasserrinne überspannte, zum Petit Trianon. Die beiden Engländerinnen bemerkten eine attraktive Dame, die die nahe gelegenen Wälder zeichnete. Sie trug einen großen Hut, ein Mieder und einen kurzen, weißen Rock. Als sie die Engländerinnen erblickte, war sie zutiefst erschrocken. Während des Spazierganges, erzählte Miss Moberly später, habe alles unnatürlich ausgesehen. Es schien, als ob die Bäume leblos seien. Es habe keine Schatten gegeben, kein Windhauch habe die Bäume bewegt. Und es sei absolut still gewesen. Plötzlich habe sich die unheimliche Stille aufgelöst und die Umgebung war wieder real. Die malende Dame war verschwunden. Und ein normaler Führer habe sie ein zweites Mal durch den Garten geleitet. Mehrere Jahre lang sprachen die Lehrerinnen nicht über ihr Erlebnis. Erst 1911 gaben sie ein kleines Buch heraus, in dem sie ihre unheimlichen Begegnungen in Versailles schilderten. Bis dahin hatten sie intensiv historisch recherchiert. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie im Revolutionsjahr 1789 einen Spaziergang durch die königlichen Gärten unternommen hatten.
Die Gärtner, so schrieben sie, seien wohl Mitglieder der Schweizer Garde gewesen, der dunkle, drohende Mann war wahrscheinlich der Conte de Vaudreuil. Frauen und junge Mädchen, die sie im Hintergrund bemerkt hatten, könnten historischen Quellen zufolge Angehörige von Bauernfamilien gewesen sein, die auf dem zum Schloss gehörenden Grundbesitz arbeiteten. Und die malende Dame war wohl Marie Antoinette gewesen, die französische Königin kurze Zeit vor ihrer Hinrichtung.
In den Memoiren der Schneiderin Marie Antoinettes wird erwähnt, dass sie verschiedene Mieder und kurze Röcke geschneidert habe. Aber in keinem Bericht über diese Zeit wurde eine hölzerne Brücke über ein Rinnsal erwähnt. Dieser fehlende Puzzlestein führte dazu, dass die beiden Lehrerinnen wegen ihrer Erzählungen verspottet wurden.
Erst viel später wurden die Pläne des königlichen Architekten im Kamin eines alten Hauses gefunden, wo sie vor der Revolution in Sicherheit gebracht worden waren. Darin waren eine Wasserrinne und eine hölzerne Brücke verzeichnet. Das Rinnsal und die Brücke waren bei späteren Änderungen des Gartens entfernt worden. Doch die Lehrerinnen hatten sie gesehen. |
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